Sonntag, 5. August 2012

Über Probleme, die sich nicht mit Panzerband lösen lassen


Ich habe in dem ganzen letzten Jahr versucht nicht zu meckern, mir nicht anmerken zu lassen, wenn es mir schlecht geht. Und jetzt werde ich dieses Gebot, das ich mir selbst gesetzt habe brechen. Es geht mir schlecht. Ich kann nicht schlafen, habe abends Fieber und tierische Rückenschmerzen. Ich fange an zu weinen wenn ich auf den Teller blicke, von dem ich nun ein Jahr lang gegessen habe und selbst beim Anblick der Käfer in meinem Bett überfällt mich die Wehmut wie ein warmer Sommerregen. Vom Kontakt mit meinen Mädchen ganz zu schweigen. Ich drehe am Rad, wie mein Papa sagen würde. Aber genauso wie mein Papa funktioniere ich trotzdem. Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.


Und ich kann noch nicht mal sagen, wie ich mich gerade fühle. Ich bin traurig, dankbar, stolz und zutiefst gerührt. Seit einer Woche vergeht kein Tag an dem ich nicht mit den Mädchen gemeinsam weine. Und seit einer Woche vergeht kein Tag ohne eines meiner Lieblingsessen. Die Heimleiterin steht nachts um vier auf um mir Chapattis zu backen und die Mädchen haben extra für mich Wassermelonen im Garten angeplanzt, die sie mir dann nach Deutschland schicken wollen. Da ich außerdem gerade krank bin werde ich von meiner Sitznachbarin, der  12 jährigen Pravallika, beim Abendessen gefüttert – natürlich mit der Hand. Die einjährige Honey kann jetzt schon „Priya Sister“ sagen und Bhuvana Kruthika nennt mich seit etwa zehn Tagen „Mami“.

Angeblich geht das Leben weiter.

Ich habe heute zum ersten Mal meinen Sari angezogen. Zur extremen Freude (ich glaub ihr könnt euch das gar nicht vorstellen) der Heimbewohner. Insgesamt verbrachte ich zwei Stunden im Zimmer der Mädchen, wo mir die Haare gemacht, sämtliche Bangles angezogen wurden  und immer wieder der Sari ins rechte Licht gezuppelt wurde – ein wahrer Nervenakt für Menschen wie mich, denen es schon schwer fällt, morgens mehr als 5 Minuten im Bad zu brauchen.

Sana, mit der ich mich besonders verbunden fühle, kam  mit erhobenem Zeigefinger zu mir und sagte: „Sister, today full happy, ok?!“ Ich nickte und die Zehnjährige wusste sofort, was das zu bedeuten hatte.


Dann war es soweit. Rückblickend kann ich gar nicht mehr genau beschreiben wie sich alles ereignet hat, weil alles irgendwie im Rausch passierte. Plötzlich saß ich auf dem Stuhl neben meiner Chefin Sumitra. Vor uns saßen die Mädchen. So langsam wurde mir bewusst, dass das hier gerade so etwas wie meine Abschiedsfeier ist. Die ersten Tränen fließen. Einige Mädchen stehen auf und bedanken sich bei mir, halten kurze Reden und auch obwohl das alles sehr anrührend ist, so wissen alle in dem Raum, dass keine Rede vermag das auszudrücken was wir fühlen.

Dann werde ich aufgefordert etwas zu sagen und ich verliere völlig die Kontrolle. Es war kein Weinen mehr, sondern richtig furchtbares Heulen. Mit lautem Schluchzen und so.  Und ich weiß nicht wie ich es schaffte, aber nach einer guten Minute des Kontrollverlustes gelang es mir, mich zusammen zu reißen. Ich hielt eine Abschiedsrede.

Ich weiß nicht ob sie gut war, aber sie war ehrlich.

Ich sagte, dass ich die schönste und die härteste Zeit mit ihnen hatte, dass ich ihnen unendlich dankbar bin. Ich sagte, dass sie alle so viel Potential haben und dass sie nie aufhören dürfen nach mehr zu streben als dem Mittelmaß, weil es das ist was sie verdient haben: die Erfüllung ihrer Träume.

Ich sah nicht ein Kind in den Reihen, das nicht weinte.

Das nächste an das ich mich erinnern kann sind mit Konfetti gefüllte, platzende Ballons über meinem Kopf. Ich bekam Blumen ins Haar gesteckt und eine Kette mit passenden Ohrringen und Armband.

Sumitra wollte, dass ich gleich heute mit zu ihr fahre und die letzten beiden Nächte dort verbringe. Ich weigerte mich. Ich bleibe bis zum Ende hier, sagte ich. Nachdem sie endlich weggefahren war drückte mir die Heimleiterin ein Gästebuch in die Hand. In dieses Gästebuch schreiben Besucher in kurzen Sätzen wie sie das Heim und die Kinder fanden. Menschen, die im Schnitt eine knappe Stunde hier verbracht haben. Und nun sollte ich etwas hineinschreiben.

Nach zehn Minuten in denen ich ratlos mit Kuli in der Hand vor dem Buch saß wusste ich plätzlich ganz genau, was zu tun ist. Neben all die „Thanks for the nice dance!“-, „You girls are soooo great!”- und “This is a beautiful Home”-Sätze, schrieb ich das Einzige, was der Situation angemessen ist:

Thank you for changing my life forever. I will never stop thinking of you.


Freitag, 3. August 2012

Jetzt ist es passiert


„Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“

Jetzt ist es passiert. Zwar ist die Tür noch nicht ins Schloss gefallen, aber der Schlitz zwischen Tür und Rahmen ist so winzig, dass ich gerade noch so mit einem halben Auge durchblicken kann. Folglich ist die Sicht auf meine momentane Situation ziemlich beschränkt.

Was ich sehe sind Kinder, für die ich eine Freundin bin, für die ich die große Schwester bin, die Lehrerin, das große Vorbild oder auch die Mutter.  Und ich werde all das zurücklassen. Mit einem Mal. Einfach so.

Und ich werde nie erfahren, was aus all den Menschen geworden ist, die für ein Jahr meine Familie waren.

Jetzt ist es passiert. Ich realisiere es. Natürlich genau in dem Moment als meine Chefin neben mir sitzt. Scheiß Timing.

Ich fühle mich zurückversetzt, bin jetzt wieder wie zuvor, klein und schwach und hilfesuchend. Es ist wie vor einem Jahr nur viel schlimmer. Denn dieses Mal ist es ein Abschied für die Ewigkeit. Selbst wenn ich irgendwann zurückkommen sollte, es wird nichts so sein wie es jetzt ist. Dazu kommt, dass meine Mädchen selbst unheimlich traurig sind. Sie weinen um mich, ich um sie und trotzdem bin ich die Große: Diesmal werde ich nicht getröstet, diesmal tröste ich selbst.

Jetzt ist es passiert. Ich fange an meinen Koffer zu packen. Ich kaufe für fast 80 Mädchen Abschiedsgeschenke und organisiere meine Fahrt zum Flughafen.
Wenn ich jetzt hier so sitze spüre ich zwar tiefen Schmerz, aber gleichzeitig auch unendliche Dankbarkeit. Dieser Ort hier, dieses Heim, dieses Dorf, dieses Land und allem voran diese Menschen haben mir so viel beigebracht. Ich habe so viel über mich selbst gelernt, mich so entwickelt, so viele außergewöhnliche Erfahrungen gemacht, bin so oft an meine Grenzen gekommen und habe sie überwunden,  dass ich voller Stolz und Dankbarkeit an diese Zeit zurückdenken werde.

„Wenn sich eine Tür schließt, steht eine andere bereits offen.“

Jetzt ist es passiert.

Alles was ich jetzt noch tun muss ist die Mädchen zu küssen, meinen Koffer zu nehmen und durch die Tür zu gehen.


Und bis dahin halte ich den Atem an.

Montag, 30. Juli 2012

Fernbeziehung




Seit nun etwa einem Jahr führe ich eine Fernbeziehung auf mehr als 7000 Kilometern Entfernung. Ich werde nun versuchen, zu beschreiben, was es bedeutet, sich in einem Jahr exakt 22 Tage zu sehen. Oder vielmehr: was es bedeutet, sich in einem Jahr 343 Tage nicht zu sehen.

Am Anfang ist es einfach nur vermissen. Es fehlt jemand. Und dieses Gefühl macht einen irgendwie einsam. Man schläft alleine ein, man wacht alleine auf. Man erlebt alles allein und das frustriert.

Dann kommt man irgendwann an den Punkt, wo einen die Sehnsucht fast auffrisst, wo man verrückt wird, wenn man realisiert, dass der Partner nur ein Bild im Laptop ist, nur ein paar Buchstaben in der Email, nur das Foto an der Wand.

Phase drei sieht so aus, dass man aus lauter Verzweiflung anfängt, mit einem illusionierten Menschen zusammen zu sein – also in der Realität. Das fängt so an, dass man seinem Kopfkissen einen Gute-Nacht-Kuss gibt, dann beginnt man sich selbst den Rücken zu kraulen, über die Haare zu streicheln und irgendwann endet es mit hitzigen Diskussionen darüber, wer dem anderen gerade die Decke weggenommen hat.

Doch auch wenn das bereits alles ziemlich armselig und traurig klingen mag, so ist die schlimmste Phase noch nicht erreicht. Man kann sie nicht richtig einordnen, weil es ein schleichender und unaufhörlicher Prozess ist. Wenn du vergessen hast, wie es ist, den anderen zu küssen, dann hast du diese Phase erreicht. Und genau dieses Vergessen ist es, was dich aufzufressen droht. Wenn du vergisst hast du dich damit abgefunden. Und da einem über ein so langen Zeitraum nichts anderes übrig bleibt, als sich damit abzufinden, weil  Körper und Kopf gar nicht stark genug sind, dagegen anzukämpfen, vergisst du allmählich alles. Nur noch die tägliche SMS erinnert dich dann daran, dass du einen Freund hast.

Warum schreibt die Alte nur so viel Gefühlsduselei, das interessiert doch kein Mensch!

Nunja, ich hoffe, dass mich diese Fernbeziehung auf die kommende vorbereitet – auf die mit Indien.
Möglicherweise tue ich das nur, um der ganzen Sache wenigstens etwas Positives abzugewinnen, doch es werden sich bestimmt einige Parallelen wiederfinden.
Wenn man weiß, wie hart so eine Fernbeziehung sein kann, dann realisiert man auch erst einmal wie berechtigt die Angst davor ist. Ich fürchte mich davor, eines Tages zu vergessen, wie sich der Wind des Monsuns in meinen Haaren anfühlt. Und das einzige was ich dagegen tun kann ist, in diesem Moment aufs Dach zu gehen, den Zopf zu öffnen und den Wind wehen zu lassen…

Sonntag, 29. Juli 2012

Indien - Gastbeitrag 2.1


'Was findest du, ist der größte Unterschied zwischen Indien und Deutschland?' fragte Birte mich nachdem ich die ersten Tage in Indien verbracht hatte. 'Hm, gute Frage' meine Antwort 'Alles! Frag mich lieber mal nach Gemeinsamkeiten, da fällt mir eine ein: In Indien und in Deutschland gibt es Menschen.'


Und so ist es. Indien und Deutschland haben nicht viel gemeinsam, zumindest nicht das traditionelle Indien. Die Mentalität in Indien ist so frei und doch so begrenzt. Begrenzt in dem Sinne, dass es schwierig scheint, nach Indien zu kommen und seine eigene Kultur voll auszuleben. Das fängt bei der Kleidung an. Zeig keine Schultern, keine Knöchel, bedeck dich, wenn du eine Frau bist. Pass auf, dass man keine BH-Träger sieht. Steck die Schüre deines Hosenbunds weg oder bist du eine Prostituierte?


Es war nicht immer einfach sich an diese 'Regeln' zu halten. Nicht weil ich es nicht wollte, sondern weil ich es einfach schnell mal vergessen habe, meine Schnürchen wegzustecken. Denn diese Schnürchen an der Hose waren bisher nie etwas, worüber ich nachgedacht habe.


Abgesehen von der Kleidung gibt es noch viele andere Kleinigkeiten zu beachten wie zum Beispiel nur mit der rechten Hand zu essen. Es passierte mir schnell und oft vor allem am Anfang meines Indien-Aufenthaltes, dass ich irgendetwas falsch machte. Zum Glück hatte ich ja aber meine indische Cousinenfreundin immer bei mir, die mich schnell auf meine Fehler aufmerksam machte.


Aber trotz allem fühlte ich mich in Indien einfach frei. Die Ukulele in die Hand nehmen und einfach losträllern ohne groß darüber nachzudenken was die anderen denken. Und das in Schlafanzug. Natürlich gucken die Leute, aber es ist ein angenehmes Beobachten, keine zweifelhaften Blicke, nur Interesse. Keine schiefen Blicke, nur Freundlichkeit und in den Augen generell viel Interesse.


Egal wo wir waren, egal, uns wurden immer die gleichen Fragen gestellt. Wir sind vom Himalaya bis in den Süden Indiens gereist, aber die Fragen blieben die gleichen: Which country? Which part of Germany? First time India? How long in India? Do you like India? What you doing in India? ...Wanna see my shop? (…) Irgendwann gingen diese netten Fragen uns allerdings so auf den Keks, dass wir uns unbekanntere Heimatländer als Deutschland ausgesucht haben. Schweden zum Beispiel, manchmal sogar Papua Neuguinea, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Meistens ging die Rechnung auf, nur einmal wurde uns dann auf Schwedisch geantwortet, upps!


Ich bin nun seit gestern zurück in Deutschland und alles ist wieder wie vorher, abgesehen davon, dass das Wetter gut ist. Die Angestellten am Flughafen waren schlecht gelaunt und nörgelig, der Mann bei der Passkontrolle, hat sich scheinbar einen Zacken aus der Krone gebrochen, um ein gelangweiltes 'Hallo' aus seinem Mund zu pressen.
Das erste was ich gemacht habe, als ich zuhause war, war mich in den Garten zu setzen und nichts zu hören, außer das laute Rauschen in meinem Kopf. Da habe ich gemerkt, Indien ist verdammt laut. Und trubelig. Kein Wunder, wenn in einem Land 1.241.491.960 Menschen leben eigentlich. Zwar sind wir insgesamt ca. 6745km durchs Land geschrubbt, aber trotzdem war jede Stadt voller Menschen. Menschen überall und Kühe, Schweine, Ziegen, Hunde, Schafe und Pfaue. Nur in der Wüste war es leer. Da gab es nur die eben genannten Tiere plus frei lebende Kamele und Dreck.


Dreck, auch das gehört zu Indien. Und Müll. Es ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen in diesem bunten Land, denn oft ist der Straßenrand aus dem Grund bunt, dass er bedeckt ist mit Müll. Und hier und da Kühe, Schweine und Menschen, die in diesem Müll leben...


Mittlerweile bin ich seit drei Tagen zurück. Und ich habe mich mal wieder unter deutsche Menschen getraut. Und mich mal so verhalten wie in Indien. Lächeln. Nicht nur, dass niemand 'Hallo! Hallo! Hallo! How are you?' gerufen hat oder heimlich versucht hat mich zu fotografieren. Man bekommt meist auch kein Lächeln zurück. Und das liegt größtenteils daran, dass niemand guckt. Jeder ist mit sich beschäftigt. Es gibt Menschen. Aber auch die sind ein Unterschied.

Samstag, 21. Juli 2012

Impressionen einer Reise 1.0

29.06.2012

Die Sonne knallt und der Wind schlaegt zurueck. In Anbetracht der Kette um meinen Hals, die aus purem Dreck besteht, stelle ich mir erneut die Frage, ob unsichtbarer Schmutz tatsaechlich der schlimmere ist...?

Zugfahren.

Das bedeutet wenig Schlaf und viel Geduld. Es bedeutet aber auch das Treffen von Menschen, die fuer eine Strecke deine Familie werden. Nicht unbedingt weil immer alle ausnahmslos nett sind, sondern viel mehr weil alles unglaublich verkeimt ist und die Vorstellung, dass all diese Bakterien, Partikel und Erreger aus der eigenen Familie kommen, alles irgendwie ertraeglicher macht. Versteht mich nicht falsch, ich liebe das Zugfahren. Es gibt gutes Essen, jede Menge Tschais und interessante Geschichten.

Zugfahren bedeutet Abenteuer:
Heute Morgen haben wir ein spontanes Konzert auf der Ukulele fuer das gesamte Abteil gegeben, mir wurde aus der Hand gelesen und gerade sitzt ein Mann neben mir, der ein Buch in den Haenden haelt, auf dem in grossen Buchstaben "How to become a complete champion" steht.

Was will man mehr?




30.06.2012

Dehli. Couchsurfen. Reicher Schnoesel. Carlsberg. Klimaanlage.

Abneigung und Bewunderung zugleich. "What the fuck is the fucking guy doing, fucker?!", lautet hier die allgemeine Umgangsform.

Keine Ahnung aber irgendwie hat  er es geschafft, unser Host. Meistert das Leben und kostet es voll aus...Neid.

Delhi ist modern, progressiv und irgendwie nicht meine Welt - ach das Leben ist reine Kopfsache!

Ich weiss nicht, was mich mehr schockiert: die Tatsache, dass die Frauen in kurzen Hosen rumlaufen? Oder die Feststellung dass ich stock konservativ geworden bin...

Und trotzdem - es waren Flittchen!



02.07.2012

Busstand in Delhi, auf dem Weg in den Himalaya.

Reiche Menschen stehen neben halbnackten, kranken Bettelkindern und starren ins Leere.

Wie verwahrlost koennen Menschen sein?

Umgekehrte Evolution.

"Wir sind keine Menschen, wir sind Tiere."

Und es sind lauernde Tiere. Tiere, die nur darauf warten, dass man einen Fehler begeht, dass man Schwaeche zeigt. Tiere, die so suess und angsteinfloessend zugleich sind.

"Money, money, chocolate!!!", ertoenen die Gesaenge. Die Ukulele wird uns mehrfach beinah\e aus der Hand gerissen.

Mitleid. Und das ist es, wofuer ich mich schaeme. Dein einst war ich an dem Punkt, wo ich Barmherzigkeit zeigen konnte....



05.07.2012

Eine kurze Ode an den wundervollen Ort Manali, komponiert von Ollek und Bollek:
(Aufwand: 3 Minuten)


Manali, Manali, du schoene Stadt im Norden,
Laesst Menschen schweben hoeher als die Berge,
es liegen viele Schaetze verborgen
von unserer Seite gibts keine Beschwerde


Grazil wie junge Bergzicklein sind wir durch die Berge gehoppelt,
die Eimer voll mit frischen Fischen
sahen selten mal was doppelt,
und falls doch lags an den falschen Mischen!


Manali, Manali, du gruene Perle im Himalaya,
du erinnerst uns stets an Bob Marley!
Wir hoffen, wir sind bald wieder da,
im schoensten Ort - Manali!



Freitag, 29. Juni 2012

Wirrwarr in der Nacht

Tja, was soll ich sagen. Es ist Donnerstag Nacht und in einigen Stunden werde ich mit meiner geliebten Strahli einen fast einmonatigen Trip durch (fast) ganz Indien starten - per Couchsurfing. Vorher müssen wir noch packen und auf einer Hochzeit mit 1500 (ja, das sind tatsächlich zwei Nullen!) Gästen tanzen. Ich bin müde und erschöpft. Die letzten zweieinhalb Woche sind rückblickend schneller vergangen als mein Flug nach Indien und doch ist irgendwie viel passiert. Ich hab heute ziemlich viel Geld beim Hütchenspielen verzockt, mein Laptop ist kaputt und ich hab ne Kopfnuss von einer Sechsjährigen bekommen, die mir heftige Schmerzen bereitete. Und dann passiert eine einzige schöne Sache, die ich nicht vermag zu beschreiben aus Angst, dass sie lächerlich klingen könnte, und dann ist alles wieder schön - zu schön. Mein Leben ist schön. Und seit neuestem kann ich das auch schätzen wenn gerade tonnenschwere Meteoriten vom Himmel stürzen und mir den Weg versperren.

Jeden Tag passiert so viel, dass ich nicht mehr hinterherkomme, darüber zu berichten. Vieles und viele kommen dabei zu kurz, das tut mir leid...

Ich bin gerade völlig zerrissen, merke, dass ich jeden Tag mehr dazu tendiere, meiner inneren Zeitbombe die Gelegenheit zum Explodieren zu geben. Ich weine jeden Tag und weiß nicht warum. Ich verdränge gerade alles: Meine Angst vor der Rückkehr (oh Gott, ich glaub ich hatte noch nie solche Angst!), die Furcht vor dem Abschied, dem endgültigen, die Befürchtung dass ich,....die Furcht dass ich.....

Ich will die Welt anhalten, die Zeit und meinen Atem, ich will reisen, ich will nicht weg, ich will Liebe gezeigt bekommen, ich will nicht, dass man um mich weint.

Doch das passiert. Heute schon. Alles passiert. Es läuft weil ich es laufen lasse. Es läuft weil ich keine andere Wahl habe. Alea iacta est. Die Würfen sind geworfen worden. Ich bin gespannt, welchen Wert sie mir letzten Endes liefern.


In der Hoffnung, dass ich bald mal wieder lockerer und heiterer schreiben kann, begebe ich mich auf meine letzte Indien-Reise...


Dienstag, 19. Juni 2012

Gastbeitrag 2.0 - Wegen Riesenmückeninvasion bleibt dieser Blogeintrag leider ohne weiteren Titel


Einen Blog soll sie schreiben, die Rahel. Also tut sie das jetzt mal:
Es stimmt. Was ich bis jetzt von Indien mitbekommen habe – es war noch nicht sooo viel, da ich bisher meistens im Heim, ein paar Mal in Bogaram oder den Nachbardörfern und in Hyderabad war – passt sehr gut zu dem Eindruck den Birtes Blog von Indien gibt. Straßen voller Rikschahs, bunten Lastwagen, Bussen, Motorrädern, Menschen und Kühen.  


Apropos Kühe gestern wurden wir auf dem Obst- und Gemüsemarkt in Hyderabad beinahe von einer Kuh überrannt. Es war heikel! Dieser Markt war sehr beeindruckend. Alles voller Obst, Gemüse und Menschen, die sich gerne fotografieren lassen. Anscheinend ist Birte dort auch schon bekannt, denn sie meint auf dem Markt etwas wie ‘Seht, sie schleppt schon wieder eine Freundin an‘ verstanden zu haben. Es ist ein großes Chaos, aber es läuft doch alles… Irgendwie (auf eine indische Weise).


(Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiih!!! Soooo viele MÜCKEEEN!!!  Ooooohhooooo-ho-ho-ho-ho! War zu erwarten, dass das Mückenzeug nichts bringt. Immerhin riecht es gut.)


Wir sind ein kleines Hippie-Zimmer. Nackidei, nackidei, alle sind heut nackidei!


Also Markt. Da waren wir. Gestern. Und da haben wir etwas gekauft. Aber das ist nicht der Punkt. Regenzeit, das ist der Punkt, auf den ich hinaus wollte. Vor ein paar Tagen hat die Regenzeit begonnen. Und ein sehr regnerischer Regenguss überraschte uns auf diesem Markt. Zum Unterstellen keine Zeit. Wir mussten durch den Monsun. Innerhalb von wenigen Minuten (oh Ventilatorangriff gegen die Mücken. Macht keinen Sinn. Am schönsten ist es, wenn das Zimmerlicht aus ist wie jetzt. Dann schwirren die ganzen kleinen Kumpel am Laptop um, jippie! Bwüäääh!) ach ja also innerhalb weniger Minuten hatte sich auf dem Markt ein Fluss gebildet. Wir konnten nicht am Fluss  vorbei, wir konnten nicht über den Fluss, wir konnten nicht unter dem Fluss durch, wir mussten mitten durch. Die Straßen Hyderabads waren nun in unseren Schuhen, lecker. Schnell ab in die Rikschah und volle Kraft voraus in Richtung Tattoo-Studio.


7 Stunden später, als wir wieder rauskamen, war der Regen zum Glück vorbei. (Oh ja, lieben Gruß an Mami und Papi an dieser Stelle, macht euch keine Sorgen, die Tattoos sind fabulös geworden und alles war pikenfain und hygenisch wie sonst nirgendwo. (Googelt Angel Tattoos Hyderabad für mehr Infos))


 (Wunderbar. Jetzt haben wir eine Grille im Zimmer. Fiep, fiep, fiep, fiep, fiep, fiep, fiep… Stellen uns jetzt in den Innenhof, schlagen unsere Beine gegeneinander und versuchen ihn sie so aus dem Zimmer zu locken. So machen die Saubiester das doch, oder?)


Weiter aber nun mit dem Regen und damit verbunden auch zu den Mädchen im Heim. Eines der schönsten Erlebnisse hier war als der Regen vor einigen Tagen anfing. Denn die Mädels haben sich alle wie Butterkekse in Schokolade getaucht darüber gefreut. Mit einigen Girlies haben wir den Beginn der Regenzeit also gebührend gefeiert. Einfach raus in den Regen, ab in die tiefsten Pfützen. Zuerst nur vorsichtiges Hüpfen, nicht die Hose schmutzig machen. Nun ja aber irgendwie lässt sich das nicht vermeinden, na dann kann die Hose auch noch schmutziger werden. Hüpfen was das Zeug hält. Und wenn die Hose dann richtig schön nass ist, ists auch egal. ‘Sister, sitting!‘ Hingesetzt! Mit den Händen in die Pfützen hauen, Wasser spritzen. Das T-Shirt ist jetzt auch nass. ‘Man kann sich denken, was als nächstes kommt. Sister, sleeping!‘ Hingelegt. Kopf oben gehalten, wenigstens die Haare sollen trocken bleiben. Aber auch das sollte nicht lange so bleiben. Irgendwann passierts eben mal, da schwappt das Wasser auf die Haare. Alles egal. Das Wasser war warm und dreckig. Willkommen im Pfützenparadies. ‘Sister, sleeping!‘, ‘Sister, breakfast!‘, ‘ Sister, sleeping!‘, ‘Sister, praying!‘ Die Kinder in uns kamen wieder raus. Und alle hatten Spaß. Singen, Tanzen, Lachen, Genießen.   

Selten hatte ich in einem echten Pool so viel Spaß, wahrscheinlich noch nie. 


Es stimmt. Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Und glücklich sein ist es, was zählt im Leben.
Man braucht auch nicht viel zum Leben, erkenne ich hier: Wasser, Reis mit Blättern und Liebe.

(von Strahli)

Sonntag, 3. Juni 2012

Armut (Ein Versuch)



Lange habe ich dieses Thema umgangen, es schlichtweg nicht erwähnt. Doch wir alle wissen, dass Indien ein sogenanntes Entwicklungsland ist, hier gibt es Armut. Bittere Armut.
Ich rede nicht davon, dass sich 50 Kinder eine Flasche Sprite teilen, sodass jedes den Inhalt des Verschlussdeckels trinken darf oder davon, dass die Mädchen hier teilweise zu dritt in einem Bett schlafen – nein.

Heute möchte ich über Armut berichten.

Ich lebe seit nun fast 9 Monaten in Indien. Es waren die 9 intensivsten Monate meines Lebens. Und genau jetzt fühle ich mich, ob berechtigt oder unberechtigt sei an dieser Stelle unbedeutend, dazu in der Lage, etwas über dieses unendlich heikle und kontroverse Thema zu schreiben.

Vielleicht hätte ich es noch ewig vor mir hergeschoben, wahrscheinlich hätte ich es letzten Endes nie wirklich behandelt. Doch dann kam dieser eine Tag, der mir so viele Eindrücke und Erkenntnisse bescherte, die es mir jetzt unmöglich machen, darüber zu schweigen. Ich muss mich mitteilen, weil ich gerne dramatische Geschichten erzähle. Doch diesmal, so glaube ich, ist es mehr. Diesmal geht es um Aufarbeitung, um Gewissensbereinigung und letztendlich um Moral.

Es war gestern. Ich bin mit drei der älteren Mädchen früh morgens zum Tempel gelaufen um die wöchentlichen Gebetsprozeduren (sorry, mir fällt kein besseres Wort dafür ein)zu vollziehen. Des Weiteren wollten wir auf dem Rückweg noch unsere Torwächterin und deren Töchter besuchen, die ebenfalls während der Schulzeit im Heim leben.

Mir war ja immer klar, dass dieses Heim hier, so krass wie es für manchen klingen mag, ziemlich privilegiert ist. Schon alleine deshalb weil es jeden Tag etwas zu essen gibt und wir fließendes Wasser, Strom und Gas haben. Ich wusste, dass es vielen Menschen in meinem direkten Umfeld viel schlechter geht, dass die meisten Menschen, die mir hier begegnen gerade so am Existenzminimum leben. Aber was ich gestern sah, dass raubte mir schlichtweg den Atem. Es raubte mir auch den letzten Fetzen Naivität und vor allem raubte es mir die Fähigkeit, mein Gewissen abzustellen. Bisher konnte ich mir immer irgendwie einreden, dass „die“ trotzdem glücklich sind, dass „die“ das selbst gar nicht so schlimm finden und dass „die“ vielleicht eines Tages a la Slumdog Millionair doch noch die Kurve kriegen.

Wer bisher auch so dachte und wer nicht bereit ist, sich vor dieser Wahrnehmung zu verabschieden, sollte vielleicht besser nicht weiterlesen. Hätte ich jetzt nochmal die Wahl, ich glaube ich hätte gerne an meinem alten, einfachen Weltbild festgehalten…

Doch stattdessen trieb mich irgendetwas an den Ort, der jeden Versuch des Optimismus im Keim erstickte, nein, der gar nicht erst den Boden bereitstellte, um Optimismus zu pflanzen – ich war im Ghetto.

Ich habe nun schon einige sogenannte Slums gesehen – besonders in der letzten Zeit. Und auch obwohl dort ebenfalls große Armut herrscht, es ist doch irgendwie nicht vergleichbar und ich kann nicht einmal sagen warum. Ich will auch nichts beschönigen, wahrscheinlich ist es lediglich meine ganz persönliche Wahrnehmung, doch ich fand die Stunden im Ghetto krasser als alles andere zuvor.

Ich laufe auf großen Betonplatten zwischen den insgesamt 18 riesigen, exakt identischen Wohnblocks hindurch. Eines der Mädchen berichtet mir, dass die Regierung diese Blocks hat bauen lassen, jedoch ohne irgendwie zu regeln, wer darin wohnen darf und vor allem: wer nicht.
Ich biege ab und stolpere fast über ein Mädchen, welches am Boden liegt. Untenrum ist sie nackt. Sie ist völlig verdreckt, hat Wunden, scheint irgendeine Art Ausschlag zu haben. Sie ist völlig unbeweglich, Ihr Gesicht liegt in Erbrochenem, der Rest des Körpers in flüssigem Kot.

Ich gehe weiter.

Eine Frau bittet mich in ihre Wohnung, offenbar scheint sie sehr stolz darauf zu sein. Ich betrete einen etwa neun Quadratmeter großen Raum, ohne Fenster. Die Wände sind, bis auf das Poster von Ganesh, völlig kahl. Es stinkt bestialisch. Sieben Menschen schlafen hier jeden Tag, berichtet sie. Obwohl die Wohnung nicht dreckig ist, es kommen starke Gefühle von Ekel in mir hoch.

Ich gehe weiter.

Ich sehe eine Gruppe von Jungen, die alle etwa 14 Jahre alt sind. Sie fassen sich auffällig in den Schritt, als sie mich sehen, rufen mir irgendetwas auf Telugu zu. Drei Jungen kommen sogar auf mich zu und greifen fest an meinen Hintern. Ich schlage die Hände weg, sie zu ohrfeigen schaffe ich diesmal nicht. Irgendwie habe ich Angst vor ihnen, denn alles in ihren Augen sagt mir, dass sie nichts mehr zu verlieren haben.

Ich gehe weiter.

Eine weitere Gruppe Jugendlicher steht an einer Hauswand und prügelt unaufhörlich auf jemanden ein, ich kann nicht mal erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Das Opfer wehrt sich nicht, es gibt nicht einmal mehr Laute von sich.

Ich gehe weiter.

Gemeinsam mit den Mädchen betrete ich nun ein weiteres Gebäude, wo auch unsere Torwächterin Nagomanie wohnt. Das gleiche Bild wie vorher: ein stinkender, dunkler Raum. Zwei etwa 70 Jährige liegen auf dem feuchten Betonboden und schlafen. Beim Rausgehen fällt mein Blick in die gegenüberliegende Wohnung. Zwei kleine Kinder, vielleicht drei und fünf kriechen auf dem Boden herum. Daneben steht ein Mann. Er hat beide Hände in seiner Hose. Das war der widerlichste Blick den ich jemals gesehen habe.

Ich gehe weiter.


Als ich das Ghetto verlasse, drehe ich mich noch einmal um: Das Mädchen liegt immer noch unbeweglich da.





Keine Angst, ich bin kein neuer Mensch geworden, kann immer noch fröhlich, albern und unbeschwert sein.

Oder ist es vielleicht genau das, was einem Angst machen sollte? Dass man unberührbar ist? Dass ich völlig kalt bin, nicht mal mit der Wimper zucke wenn mich eine Mutter mit Baby auf dem Arm anfleht, ihr Geld für Nahrung zu geben. Ich schaue noch nicht einmal beschämt weg oder versuche, dieser  Situation aus dem Weg zu gehen – ich schaue ihr direkt in die Augen und sage „No.“.

Ich bin verroht.

Was mir einst mein höchstes Gut war, bröckelt unaufhaltsam unter meinen Füßen: meine Moral. Ich beginne zu wanken, komme an Punkte wo ich mich regelrecht dafür schäme dieses unendlich privilegierte Leben zu haben, wo ich mich für meine Herkunft schäme, für mein Land (sofern es das überhaupt noch ist) und für meine selbstgerechte Art. Und im nächsten Moment rege ich mich unendlich darüber auf, dass das Internet so langsam ist.

Paradox?

Oh Mann, wie sehr sehne ich mich doch manchmal nach den Tagen, an denen ich in Deutschland auf dem Sofa saß und auf alle Fragen Antworten hatte.

Doch jetzt weiß ich, wer glaubt, die Welt zu verstehen, der hat sie noch nie richtig gesehen.

Ich weiß nicht, was du machen würdest aber…


Ich gehe weiter.

Donnerstag, 31. Mai 2012

Wer hätte das gedacht...?


Wer hätte das gedacht…?


Es gibt Tage, an denen stellt mein Rücken nichts Anderes dar, als eine Zielscheibe, in die Messer geworfen werden, meine Beine sind lediglich da, um Stöcke dazwischen zu werfen.
Jeder arbeitet gegen jeden, aber vor allem arbeitet jeder gegen mich.

Doch von diesen Tagen möchte ich heute nicht berichten, schon alleine deshalb, weil diese Mistdinger die Aufmerksamkeit, die ihnen dadurch zu Teil werden würde, nicht verdienen!

Stattdessen ist es mal wieder an der Zeit, über Erfolge zu berichten. Eine ehemalige Mathelehrerin von mir pflegte stets zu sagen, dass mein Gehirn nicht richtig strukturiert sei und dass durch diese Fehlstrukturierung der Bereich des logischen Denkens quasi unterdrückt werde.

Nunja ich glaube, nein, ich bin mir sogar sicher, dass durch dauerhaften Fernseh-, Feier-, und Alkoholverzicht so einiges an Struktur wieder hergestellt werden kann. Anders kann ich mir meine genieähnlichen Gedankenblitze in dem Bereich „praktisches Denken“, der direkt an die Logik-Ebene geknüpft ist, nicht erklären.

Es mag manchen nicht sonderlich beeindrucken, mancher wird auch einfach sagen, dass es die Not ist, die erfinderisch macht, doch ich denke, dass ich die Menschen, die mich kennen, schon ziemlich beeindrucken kann, wenn ich zum Beispiel berichte, dass ich nun nicht nur meine eigenen Klamotten reparieren kann, indem ich die Löcher fein säuberlich zunähe, sondern nun auch ein richtiges echten Puppenkleid genäht habe.

BAM!

Ja, und das ist noch nicht alles: Die Mädchen verlieren ständig das Gegenstück zu ihren Ohrringen (ihr wisst schon, diese kleinen Metallscheiben, die man auf die Rückseite der Ohren macht, damit der Stecker nicht verloren geht…).
Da kam ich auf die glorreiche Idee, einfach ein Stück Radiergummi zu verwenden!

Und jetzt zum Highlight. Ich habe ein Kinderfahrrad repariert, das komplett auseinander gefallen war. Und da es hier kein Werkzeug gibt, geschah das Ganze mit…
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einer Heckenschere!!!

Leider gab es auch keine Schrauben, also musste ich improvisieren. 

Und damit ich den Sattel befestigen kann, hab ich einfach die Bremsen abgeschraubt. Aber das ist eine andere Geschichte…

Dienstag, 22. Mai 2012

Kompass



Ich kam, sah und….war verwirrt.

Sollte eines Tages eine Biographie meiner Person existieren, dies wäre wohl der passende Titel – zumindest wenn man vom momentanen Zeitpunkt ausgeht. Wobei...nein, es ist kein Zeitpunkt. Mein ganzes Leben lang bin ich schon verwirrt. Ich hatte noch nie ein klares Ziel vor Augen, keinen genialen Plan von meinem Leben, nicht mal einen schlechten.

Das machte mir früher noch nicht zu schaffen, denn da stand für mich fest: Montags bin ich Ärztin, dienstags Lehrerin, mittwochs Reiterhofbesitzerin, donnerstags Tierärztin und am Wochenende Rockstar.

Mittlerweile ist mir bewusst geworden, dass ich all meine Hobbys, meine Interessen und meine eingebildeten, aber auch die tatsächlich vorhandenen Talente nicht so einfach unter einen Hut bringen kann.

Es dürstet mich nach Ruhm, Macht und Geld genauso sehr wir nach einem Leben in völliger Armut, fern von Konventionen und dafür in Freiheit und Selbstbestimmung.

Und ich hasse Kompromisse.

Was stimmt da nicht mit mir? Ich bin 20 Jahre alt, stehe nun endgültig an der Kreuzung in meinem Leben wo ich Entscheidungen treffen muss und bin völlig unfähig, dieser Anforderung gerecht zu werden.

 Es scheint, als hätte ich meinen Kompass verloren, vielleicht ist er auch einfach kaputt oder aber ich habe nie gelernt ihn zu lesen.

Ich wünschte ich könnte mein Leben komplett in die Hände des Schicksals legen, oder die des Zufalls, des Windes, der Liebe oder in die Hand Gottes oder an was auch immer ich glaube.

Nunja, ich weiß nicht ob Gott so etwas macht, aber das Schicksal schreibt mir sicher keine Uni-Bewerbungen. Also muss ich doch irgendwie aktiv werden. 

Ich kann das Leben nicht auf mich regnen lassen, ohne vorher die Wolken über mein Haupt geschoben zu haben.

Als ich hierher kam, wollte ich Klarheit über mein Leben gewinnen, doch das Einzige, was mir diesbezüglich klar wurde ist, dass ich völlig verwirrt bin.

Mir reicht kein einziges kleines kurzes Leben, um meine ganzen Träume zu verwirklichen! Und wenn ich nicht die Gewissheit habe, dass ich irgendwann nochmal auf Neustart klicken kann, erscheint es mir unmöglich mich für einen Lebensstil zu entscheiden. Ich möchte kurz mal auf „Speichern“ klicken und dann alles Mögliche ausprobieren, bevor ich mich festlege.

Aber nein…dann wäre mein Leben ja völlig sinnentleert.

Ich habe geübt, gelernt, probiert. Jetzt stehe ich gespannt hinter dem roten Vorhang und warte darauf, dass er sich öffnet. Und ich muss begreifen, dass es letztlich, völlig unabhängig davon, was sich auf der anderen Seite des Vorhangs befindet, nur auf meine eigene Darstellung ankommt. Denn die höchsten Ansprüche an mich sind meine eigenen.
Und hey, ich meine, wenn ich am Ende der Vorstellung nur Pfiffe und faulige Tomaten von den Zuschauern bekomme, mein Gott, dann such ich mir halt ne andere Bühne. Hauptsache ist, dass ich dabei nie aufhöre, ausschließlich mich selbst zu spielen.

Ich glaub ich weiß, wie sich die Sache mit dem Kompass bei mir verhält. Ich habe einen. Ich weiß auch, wie ich ihn lesen muss. Doch ich weiß eben auch, dass die Erde rund ist, damit man in alle Richtungen gehen kann. Also werde ich meinen Kompass beruhigt zuklappen und daran denken, dass man ohne Orientierungssinn viel mehr von der Welt sieht.

Und irgendwann möchte ich lächelnd unter der Erde liegen und an die Worte auf meinem Grabstein denken: „Was wäre wenn…?“

Dienstag, 15. Mai 2012

Der ultimative Blogeintrag


Nachdem ich mich nun schon wieder ne Weile nicht in meinem Blog betätigt habe, obwohl ich mir das fest vorgenommen hatte (an dieser Stelle ein kleiner Zwischenkommentar der Autorin: "Scheiße, vergeht die Zeit gerade schnell!!!“), hier ein Nachtrag aller wichtigen und, wie ihr es von mir gewohnt seid, besonders der unwichtigen Ereignisse.


Die Monster aus meinem Englischunterricht

In der letzten Zeit haben sich meine Aufgaben hier im Heim geändert, was teilweise auch durch die momentanen Ferien bedingt ist. So gebe ich jetzt zum Beispiel einer Gruppe von vier bis acht Mädchen zweimal täglich für eineinhalb Stunden Englischunterricht, der besonders darauf ausgelegt ist, den Mädchen freies Sprechen und solides Verstehen der Fremdsprache zu vermitteln. Es ist oft anstrengend, da das Lernniveau sehr unterschiedlich ist, die Konzentration schnell nachlässt und ich vor der Herausforderung stehe, einen Spagat zwischen „Ich-bin-die-große-Schwester-und-Spielgefährtin-und-Kummerkasten“ und „Ich-bin-die-Lehrerin-die-zwar-lockeren-und-interessanten-Unterricht-hält-aber-dennoch-was-vermitteln-will“ zu machen.

Ziel des ganzen Projektes ist es, die Mädchen fit fürs College zu machen, wo ausschließlich Englisch gesprochen wird – diese Aufgabe befindet sich für mich auf demselben Niveau wie: Überzeuge Opa Hans davon, Vegetarier zu werden.

(An dieser Stelle kommt ein symbolischer Absatz.)

Letzte Woche habe ich mit meiner Klasse das Vorstellen geübt. Sie sollten aufstehen und sich selbst nach verschiedenen Kriterien, die sich zunächst nur auf Äußerlichkeiten beschränkten, vor der Gruppe beschreiben.

An diesem Tag sollte ich vor eine zusätzliche Herausforderung gestellt werden, nämlich der, nicht zu lachen. Hier die besten Sätze (nur zur Sicherheit: ich unterrichte ausschließlich Menschen!):

„Ich habe ein fettes, quadratisches Gesicht.“
„Meine Nase sieht aus wie eine große Gurke und meine Ohren haben die Form von Mangos.“
„Ich bin sehr klein und habe winzige Arme.“
„Ich habe verlauste Haare.“
„Ich habe Pickel im Gesicht, aber ich bin wunderschön.“
„Ich habe zwei Arme, zwei Augen, zwei Ohren und zwei Beine mit vielen dunklen Haaren.“


Die Ratte

Liveschaltung. Es ist Mittwoch, der 9.Mai und ich skype mit Rahel, als ich plötzlich höre, wie ein großes Tier an der Seite meiner angelehnten Badezimmertür hochklettert. Zu diesem Zeitpunkt hoffe ich noch, dass es sich lediglich um eine große Echse handelt. Wieder auf das Gespräch mit meiner Liebsten konzentriert, verfluche ich die Fähigkeit des peripheren Sehens, als plötzlich ein riiiiiiieeeeeeeesiger, langer, dünner, krummer Rattenschwanz an meiner Tür runterhängt. Abrupt muss ich die Konversation beenden. Meine Blase drückt ohne Ende, doch in kann unter keinen Umständen ins Bad, nur über meine Leiche!!!

(An dieser geht ein herzlicher Dank an meine Mutter, die mir ihre Angst vor Nagern offensichtlich vererbt hat.)

Ich bin mal zur Abwechslung ganz Mädchen und vergieße ein paar Verzweiflungstränchen während mein gesamten Körper von Ekel-Gänsehaut überzogen ist. Ich rufe Hannes an und teile ihm mit, dass ich auf dem Dach schlafen werde. 


Antwort: „Da sind doch bestimmt auch Ratten.“

Klasse.

Irgendwann befreit sich mein Hirn aus dem Standby-Modus (ok, es benötigte ein wenig Zuspruch) und beschließt, die Mädchen um Hilfe zu bitten. Es ist bereits nach 22 Uhr.

Schließlich finde ich zwei angstfreie Helferinnen, die todesmutig in mein Zimmer gehen. Ich stehe zu diesem Zeitpunkt schluchzend im Büro, wo ich mich aus lauter Angst vor einer mir entgegen rennenden Ratte eingeschlossen habe.

Irgendwann klopft es am Fenster, ich zucke zusammen. „Sister, finished!“, ruft Durga, die Rattenfängerin. Erleichtert öffne ich die Tür und erblicke das Mädchen, wie es meinen Duscheimer in den Händen hält – mit der schwimmenden Ratte drin! Ich schreie was das Zeug hält und verbarrikadiere mich wieder im Büro; bis das Viech endlich draußen freigelassen wird (ich hätte in diesem Falle die Todesstrafe bevorzugt!). Nach einigen ausführlichen Verbeugungen vor meinen Lebensretterinnen und der Verteilung meines vollen Respekts nehme ich meinen leeren Duscheimer wieder mit ins Zimmer, ziehe von außen schnell die Badtür zu und verriegel sie. Nein, ich werde dieses Bad nie wieder angstfrei betreten können!

In der Nacht träume ich von Rattenschwänzen, die durch mein Gesicht fahren, von Rattenzähnen die an meinen Füßen nagen und von davon, wie dieses widerlichen Drecksviecher die Weltherrschaft an sich reißen. Ich wache kurzzeitig auf und habe apokalyptische Vorstellungen wie die, dass die Ratte in meinem Bad ihre Jungen zur Welt gebracht hat und die morgen früh auf mich warten, um sich zu rächen. Dann frage ich mich, ob die Ratte vielleicht Krankheiten hat und ob ich vielleicht morgen beim Berühren des Wasserhahns die Pest bekommen könnte.

Dann ist es soweit, es ist Morgen. Ich kann nicht ins Bad, ich kann es einfach nicht. Zwei Stunden liege ich mit drückender Blase im Bett und versuche mich zu überwinden: es hilft nichts.
Wieder rufe ich Hannes an.

„Du kannst nicht die nächsten drei Monate nicht mehr ins Bad gehen!“
„Ja, ich weiß.“
„Dann öffne jetzt die Tür und schau rein.“
„Ich kann nicht!“

Dieser Dialog findet etwa 5 fünf Minuten lang in ständiger Wiederholung statt. Ich beschließe mich, die Tür aufzuschließen, doch öffnen kann ich sie nicht.

Also stelle ich mich auf das gegenüberstehende Bett und versuche, meinen Latschen gegen die Tür zu werfen. Wie meine Statistik bei den Bundesjugendspielen schon vermuten lässt, treffe ich natürlich daneben.
„Dann flitz schnell zur Tür und tritt dagegen und dann springst du schnell wieder aufs Bett.“, lautet Hannes Rat.

Gemacht, getan. Leider hab ich so fest getreten, dass die Tür bis zum Anschlag aufgeht und dann gleich wieder zufällt. In dem Zeitpunkt als man hätte reinschauen können war ich mit dem Sprint zurück aufs Bett beschäftigt. Mist.

Naja, was soll ich sagen, nach etwa 20 Minuten Argumentation auf höchstem Niveau bin ich todesmutig ins Bad gegangen. Und das tue ich jetzt wieder regelmäßig, weil mir einfach nichts anderes übrig bleibt. Jedoch klopfe ich jedes Mal erst vorsichtig gegen die Tür und lausche dann, ob sich irgendetwas bewegt, bevor ich dann wirklich reingehe. Achja und am nächsten Tag habe ich mit einer ganzen Rolle Panzerband und etwa 60 Reißzwecken mein Badefenster verbarrikadiert (rein optisch könnte man meinen, es herrsche Krieg!). Und um auch die letzten Zweifel wegen Krankheiten zu beseitigen, habe ich alles geputzt und desinfiziert.
Um mein Trauma zu bekämpfen ging ich schließlich zu den Mädchen und berichtete nochmal allen von der Ratte.


Einziger Kommentar: „They only come, when the room is ugly.“

Na danke, jetzt musste ich auch noch den Rest des Zimmer putzen, man weiß ja nie…





Die Striche werden dünner

In meinem Zimmer hängt nach wie vor ein Countdown, wo ich jeden Abend einen Tag durchstreiche. Und jeden Abend stelle ich erschrocken fest, dass schon wieder ein Tag vergangen ist. Es gibt vieles worauf ich mich in Deutschland freue, aber ich habe auch wirklich Angst vor meiner Rückkehr, von Deutschland und davor, dass ich nicht mehr nach Deutschland passe.

Ich bin jetzt in diesem Moment voll und ganz in Indien angekommen, ich fühle mich jetzt indisch und (so absurd dieser Ausdruck angesichts der wenigen Privatsphäre und meiner gesamten Lebenssituation erscheinen mag) ich fühle mich frei.

Ich möchte mein Leben hier nicht zurücklassen, weil ich das Gefühl habe, dass es hier noch so viel für mich zu tun, zu entdecken und zu lernen gibt. Das gegenteilige Gefühl hatte ich damals, als ich Deutschland verlassen habe. Es gab dort nichts mehr für mich zu tun, zumindest nichts, was mich gereizt hat.
Deutschland zu verlassen war machbar, weil ich wusste, dass es nur ein Abschied auf Zeit ist. Indien zu verlassen, bedeutet ein Abschied für immer. Selbst wenn ich in den nächsten fünf Jahren nochmal herkommen sollte , hier wird alles anders sein. Ich werde nie wieder an diesen Punkt in meinem Leben zurückkommen und obwohl ich weiß, dass es gut ist, weiterzuziehen, dass oft wechselnde Lebensverhältnisse auf mich einen starken Reiz ausüben und ich Angst vor Stagnation habe, sehe ich momentan fast nur die schlechten Seiten, sehe nur, was ich weggeben muss, nicht aber, was ich dafür bekomme.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich an diesen Punkt kommen werden, niemals.
Es ist nur eine Phase, da bin ich mir sicher, und ich weiß, dass sie zu dem ganzen Projekt „Auslandsjahr“ dazugehört.

Während ich am Anfang und direkt nach Sri Lanka dicke fette Striche auf meinem Countdown gemacht habe, werden sie jetzt jeden Tag vorsichtiger und dünner. Und ich glaube nicht, dass sich das in den letzten drei Monaten ändern wird…

Samstag, 5. Mai 2012

Wie mir Gruppenzwang zum Glück verhalf


„Priya, Priya, Priya….!!!“

Hände klatschen, die Kirche tobt. Ich gehe schüchtern nach vorne. Jeder Schritt wird von etwa 150 Menschen bejubelt. Für den Bruchteil einer Sekunde schließe ich die Augen und atme tief ein und aus – mehr Zeit bleibt nicht. Ich versuche abzuschalten, mich auf meinen Atem zu konzentrieren, doch mein lauter, viel zu schneller Herzschlag verhindert jedes „zur Ruhe kommen“.
Ich will das nicht. Echt jetzt.
Langsamer zu gehen würde bedeuten, stehen zu bleiben. Und so lässt es sich nicht vermeiden, dass der Weg irgendwann zu Ende ist. Jetzt stehe ich vorne. Ein kurzes, pseudofreundliches Zunicken, dann drehe ich mich langsam um und blicke in die erwartungsvollen Gesichter. Ich greife nach vorne und umfasse mit beiden Händen das Mikrofon, dass ich nun immer näher vor meinen Mund führe.
Ich atme ein, dann öffnen sich meine Lippen.

Stopp! Zurückspulen! Am Abend vorher:

Navaneetha kommt aufgeregt zu mir gerannt: „Sister, sister, tomorrow marriage, you coming?“
Und wie ich komme! Darauf hab ich schließlich schon ewig gewartet: endlich eine indische Hochzeit erleben! Der Onkel eines Mädchens aus dem Heim heiratet und läd das gesamte Mädchenheim ein (nur, um sich mal der Dimensionen einer indischen Hochzeit bewusst zu werden…)

Und so kommt es, dass ich heute Morgen, gemeinsam mit 14 Mädchen aus dem Heim eine knallepinke Kirche betrete, aus der laue Gitarrenklänge kommen. Wir ziehen die Schuhe aus und gehen rein. Wie automatisch richtet sich mein erster Blick darauf, auf welcher Seite die Frauen sitzen, schließlich ist hier alles nach Geschlechtern getrennt. Dann erst schaue ich mich um: Die ganze Kirche glitzert und funkelt. Vorne steht eine Bühne mit zwei Thronen in königlichem Rot und mit etlichen Glitzersteinen verziert, auf denen später das Brautpaar sitzen sollte.

In der rechten vorderen Ecke spielt eine..äh…Musikgruppe (Wenn ich von Band sprechen würde, wäre das für alle echten eine grobe Beleidigung…!)
Man stelle sich vor: Kirchenmusik im Stile der 90er Jahre Elektroszene, ein 16 jähriger Junge der noch mitten im Stimmbruch zu stecken scheint, ein narzisstischer Gitarrist, der offensichtlich einen internen Lautstärke-Wettkampf mit dem Schlagzeuger ausfechtet und das alles verstärkt von acht riiiieeesigen Boxen, sodass man nicht nur sein eigenes Wort nicht mehr hören kann, sondern auch jede Gedanken bei der Lautstärke kläglich verstummen. Das ist definitiv Körperverletzung! Ich habe Kopfweh und bin genervt von den Basstönen, die meinen gesamten Körper zum Vibrieren bringen. Das ganze Gedudel muss ich exakt 53 Minuten ertragen. Als der erste Funke Hoffnung auf Erlösung aufkeimt, passiert etwas Furchtbares: 4 Frauen, die locker das Format der Weathergirls haben, quetschen sich vor den Mikrofonständer. Würde man an schlechtem Gesang sterben, ich könnte diesen Blogeintrag nicht mehr verfassen.
Sie singen mal locker zwei Oktaven höher, als es ihre Stimme zulässt und schreien dabei was das Zeug hält, aus Angst nicht gehört zu werden. Eine Mischung aus den Schlümpfen, Modern Talking und DJ Bobo - Ich bin kurz davor, die Kirche zu verlassen.

Plötzlich springen alle auf: Der Bräutigam betritt die Kirche, schlendert nach vorne und setzt sich auf seinen Thron. Wenig später folg seine Zukünftige. Täusche ich mich, oder hat der Bräutigam diesen gewissen Blick, dieses zuversichtliche Hochziehen einer seitlichen Mundpartie a la „Heute Abend kann ich die Alte endlich flachlegen!“?

Der Gottesdienst beginnt – es handelt sich um eine christliche Hochzeit, es handelt sich um eine arrangierte Hochzeit. Während ein Mann im goldenen Glitzeranzug vorne an der Kanzel rumhampelt wie Christian Rach, wenn ihm das Schnitzel nicht schmeckt und zwischenzeitlich Ausraster hat wie Jürgen Klinsmann im Endspiel gegen Italien, blicke ich mich im Publikum um. Es werden Chips gegessen, SMS geschrieben und lauthals geredet. Der Brautvater, der sich besonders schick gemacht hat (passend zu seinem weißen Anzug trägt er eine gleichfarbige Mütze mit der großen Inschrift „Tic Tac“), stolziert durchgängig auf und ab und versorgt den ganzen Raum mit Wasser.
Der Gottesdienst dauert ewig. Kurz vor dem Einschlafen schrecke ich auf: Die Dame neben mir stellt sich hin und geht sicheren Schrittes nach vorne. Sie positioniert sich vor dem Mikrofon und hält eine Rede, die ich natürlich aufgrund meiner geringen Telugu-Kenntnisse nicht verstehe. Weitere Reden von Gästen werden gehalten. Ich bin gelangweilt.

 Der Brautvater kommt auf mich zu.

„Do you want to say something?”, fragt er und deutet dabei auf das Mikrofon.

„Me? Oh no, thank you, I cannot talk Telugu, so I guess most of the people won’t understand…”, entgegne ich. Dann höre ich eine mir bekannte Stimme, die für sofortige Atemnot und schwitzende Hände bei mir sorgt.

„But Priya sister can sing a song!”, schlägt eines der Mädchen aus dem Heim vor.

 Während auf diesen Vorschlag hin die ersten anfangen, begeistert in die Hände zu klatschen, überlege ich ernsthaft ob ich dem Mädchen eine klatschen soll…!

„No, no!! Please, I really don’t want to sing!“

Tja, und jetzt sind wir wieder am Anfang der Geschichte.

Nun stehe ich also da, wie ein Häufchen Elend. Für die ersten Töne schließe ich meine Augen. Als ich diese wieder öffne, bin ich selbstbewusst und genieße gewissermaßen den Augenblick.

„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten…….“, singe ich laut, klar und deutlich vor den 150 Hochzeitsgästen.

„Frei ist, wer in Ketten tanzen kann“, hat mir meine Strahli in mein Abschieds-Buch geschrieben. Ich hab keine Ahnung, ob der Satz zur Situation passt, aber aus irgendwelchen Gründen kommt er mir in den Sinn. 

Als ich die letzte Zeile gesungen habe herrscht für den Bruchteil einer Sekunde absolute Stille. Dieser Moment ist der schönste seit langer Zeit. Die Vorfreude auf den Applaus, die Anerkennung und vor allem der Stolz auf mich selbst lassen diese paar Millisekunden unvergesslich machen.
Ich gehe zurück auf meinen Platz, bin wie befreit, gelöst und einfach glücklich.

Der Rest des Gottesdienstes verstreicht, ohne dass ich ihn so wirklich wahrnehme. Dann gibt’s endlich Essen. Natürlich speisen Männer und Frauen und getrennten Räumen (die Damen müssen natürlich in den Keller!). Es gibt Schafs-Curry mit Reis – für den Großteil der Gäste das absolute Highlight, ich hingegen freue mich über die Kartoffeln in der Chilisoße.  Nachtisch gibt’s auch: Herrlich, endlich wieder Zucker (schließlich lebe ich jetzt seit 26 Tagen schnuckifrei!)!!!

Dann geht’s auch wieder heim, mit vollem Magen, jeder Menge Endorphine und der Frage, warum Gruppenzwang ein so negativ besetztes Wort ist…?

Montag, 30. April 2012

Verfolgungsjagd


Mit vollen Einkaufstüten, frisch gefülltem Pizza-Magen, sieben Paar neuen Ohrringen  und leichtem Sonnenbrand steige ich erschöpft in die Riksha. Ein kurzer Blick auf die Uhr – Mist, schon nach vier! „Nach Tarnaka, zur Bushaltestelle bitte!“, sage ich dem Fahrer. Gedankenversunken schaue ich aus dem Fahrzeug und denke daran, wie geflasht ich von diesem Anblick war, als ich einst – vor nun fast 8 Monaten! – nach Indien kam. Autos, Busse, Rikshas und Fahrräder rauschen an mir vorbei. Ein kurzer obligatorischer Blick auf den Bus, der mich gerade überholt: „242B“ steht auf dem oben befestigten Schild. Wie so oft betrachte ich die Preistafel an der Tankstelle: Wieder gestiegen! Ich schaue Menschen hinterher und sehe gierig auf die riesigen Obstberge am Straßenrand. 

Plötzlich klingelts. Laut. Nervig. Unaufhörlich. Das war doch gerade MEIN Bus! Der direkte Bus nach Bogaram!! Das ist quasi ein Sechser im Lotto!!!
„Fast, fast, I have to catch this bus!“, brülle ich den Rikshafahrer an.
Eben jener Bus ist bereits an der Kreuzung vor uns abgebogen. „Turn, turn!!!“, „Sorry Madame, English no!“, bekomme ich als Antwort. Na klasse! Der Ton macht die Musik und wenn er mich eh nicht versteht, kann ich es im auch auf Deutsch erklären, denke ich mir und lege los: “Guter Mann, ich muss diesen beschissenen Bus da vorne kriegen, sonst muss ich mal locker noch 2 Stunden warten, also hol jetzt alles aus der Kiste raus, was geht!” – Fragendes Kopfschütteln. Ein Blick nach vorne: Lediglich die dicke dunkle Rauchwolke des Busses ist noch zu sehen.

Jetzt reichts.

Ich beuge mich nach vorne und lege meine Hand auf den Lenker. Mit allem Schwung drehe ich ihn zum Anschlag nach unten und die Riksha beginnt zu schnurren. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, mein Fahrer weiß nicht wie ihm geschieht, doch wir machen Meter um Meter gut. Längst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer angelangt, versteht der Rikshawalla nun endlich, was ich vorhabe. Er gibt mir ein Zeichen, sodass ich mich wieder hinsetze und eilig meine Taschen zusammankrame und Geld raussuche. Wir sind jetzt auf einer Höhe mit dem Bus. Ich halte meinen Kopf aus der Riksha und brülle was das Zeug hält, während ich mit den Händen wie wild umherfuchtel, sodass mir beinahe die Taschen abhandenkommen. Die Menschen im Bus nehmen mich als erstes wahr. Fragender Blick, Entsetzen, dann ein schüchternes Lächeln und schließlich gehässiges Lachen – so ist die allgemeine Reaktion auf mein Erscheinungsbild. Eine gefühlte Ewigkeit, die ich mit rumhampeln, zappeln und brüllen fülle, dann bemerkt mich endlich der Fahrer des Busses. Auch er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ja, lacht doch ruhig ihr blöden Säcke!!!“, rufe ich. Schließlich hat er Erbarmen und bremst den Bus ein wenig ab. Ich wittere meine letzte Chance. Innerhalb von drei Sekunden drücke ich dem Fahrer das Geld in die Hand und springe aus der Riksha – AUA! Nun sitze ich da, auf meinem Hintern, mitten auf der Straße. Meine Tüte mit dem Monopoly ist aufgeplatzt und mein Fuß verknaxt. Der Bus fährt weiter. Ich glaub ich spinne! Ich nehme den ganzen Kram unter den Arm und flitze los, hinter dem Bus her. In Gedanken verfasse ich die schlimmsten Wutreden meines Lebens. Am liebsten würde ich heulen oder schreien oder beides – doch dafür bleibt jetzt keine Zeit!

 Vielleicht ist es eine göttliche Eingebung, Mitleid oder einfach nur Zufall. Jedenfalls  kommt der Bus nach etwa einer Minute „Flitzen am Limit“ zum Stillstand. Ich steige ein und setze mich auf den Behindertenplatz. Zumindest für die nächsten fünf Minuten, so finde ich, habe ich darauf vollen Anspruch!

Freitag, 20. April 2012

Selbstmitleid Ade!


Ich bin Skorpion (in Fachkreisen besser bekannt als „Skoppsssssion“), ich bin analytisch, ich bin kopfgesteuert. Folglich bleibe ich nie lange in einem Tief. Deshalb habe ich heute, genauer gesagt vor dreieinhalb Minuten, beschlossen, wieder glücklich zu sein. Jede Veränderung beginnt im Kopf.

Also sehe ich die Dinge jetzt positiv: Ich kann beim Duschen die Badezimmertür offenstehen lassen, meine allabendlichen Drei???-Folgen so laut hören wie ich mag und mich unendlich dabei amüsieren, mit den Mädels Fußball zu spielen (es ist, als würde man Rollstuhlfahrern das Laufen beibringen!). Die Situation ist nach wie vor nicht einfach, doch das Grundproblem kann ich nicht lösen, deshalb muss ich den mir zur Verfügung stehenden Handlungsrahmen zu meinen Gunsten ausnutzen. Ich werde mir feste Alltagsstrukturen schaffen und mich mehr einbringen - heute habe ich damit begonnen.

Aller Anfang ist schwer. Also muss ich mir anhören, dass meine Chapattis (so ne Art Crepe) wie Kuhfladen aussehen, dass ich niemals einen indischen Mann heiraten könnte, weil ich viel zu schlecht und zu langsam wasche und zu allem Überfluss wird mir anschließend ein 5 Monate altes Kind auf den Arm gedrückt, das prompt anfängt zu heulen und mich dann, nachdem es sich beruhigt hat, von oben bis unten vollkotzt – naja, so kann ich die Gelegenheit nutzen, meine Waschfähigkeiten zu verbessern…

Wie gesagt, ab jetzt sehe ich die Dinge positiv ;)

Freitag, 13. April 2012

Doch die Wahrheit ist...


Die Turbinen starten, es drückt mich tief in den Sitz hinein, das Flugzeug hebt ab und es zerreißt mir das Herz. Alle Plätze sind belegt. Alle? Nein, der Platz zu meiner linken Seite ist noch frei und er wartet darauf, besetzt zu werden. Auch ich warte darauf, dass du dich hinsetzt aber du stehst in der Abflughalle und siehst meinem Flieger  nach wie er mitten ins Gewitter steuert. Sturm, Regen, Blitze und Donner – Sie gaben uns während der gesamten Reise stets das Zeichen, weiterzuziehen. Auch jetzt ist es wieder Zeit zu gehen, ein neues Kapitel zu beginnen. Doch es zerfrisst mich innerlich, dass ich auch diesen Teil der Geschichte alleine schreiben muss. Denn wenn ich eines satt habe, dann ist es das Alleinesein, dann ist es  das Vermissen.

Es bringt nichts, es gibt einfach keine Alternative. Als Kind habe ich einfach so lange geweint, bis ich bekommen habe, was ich wollte, doch jetzt ist alles anders. Unter Tränen quäle ich mich zurück nach Bogaram, jeder Schritt in Richtung Heim kostet mich unendliche Überwindung. Und dann bin ich da. Ganz alleine. Alma ist weg.

Es gibt niemanden, dem ich Urlaubsfotos zeigen kann, dem ich erzählen kann wie wunderschön alles war oder der mich mal kurz in den Arm nimmt und sagt, dass alles gut wird. Es gibt nur mich und die alles einnehmende Einsamkeit.

Ich staune mal wieder darüber, was für eine verdammt gute Schauspielerin ich doch bin, wenn ich mit den Mädchen spiele, singe oder ihnen bei den Hausaufgaben helfe
.
“Sister, will you stay here?“ – “Of course!”

Aber Fakt ist, dass es seitdem jeden Abend stürmt und donnert und dass der erste Regen fällt – seit 7 Monaten.

Dienstag, 13. März 2012

Gastbeitrag 1.0

So meine Lieben,

ich sitze gerade in einem schaebigen kleinen Internetcafe inmitten Bangalores...In fuenf Tagen werde ich mit Hannes fuer drei Wochen Sri Lanka unsicher machen und daher wohl keine Zeit haben, meinen Blog zu pflegen.
Als Leckerchen fuer diese Zeit gibts allerdings den durchaus gelungenen Gastbeitrag meiner Eltern, ueber den ich mich sehr gefreut habe! Fuer mich war es eine sehr schoene und erkenntnisreiche Zeit... Voraussichtlich wird sich nach meinem Urlaub einiges fuer mich aendern doch bis dahin werd ich alles geniessen, was geht!!!

Viele liebe Gruesse und vielen Dank an Mama und Papa <3




Seit einer Woche sind wir nun wieder zurück in Deutschland und tragen die Bilder Indiens und die Erinnerungen in uns, die wie Blitzlichter immer wieder in unserem Alltag auftauchen.
Unsere Reise nach Indien hat schon im Vorfeld viel Spannung und Vorfreude in uns ausgelöst; sollten wir doch nicht nur ein fremdes Land mit seiner Kultur kennenlernen, sondern auch unsere Tochter wiedersehen, die seit einem halben Jahr in genau diesem, uns fremden Land zu Hause ist.
Unser Wiedersehen am Flughafen in Hyderabad war freudig emotional und erfüllte uns mit großer Dankbarkeit bei der Umarmung. Der Flughafen war so wie wahrscheinlich viele internationale Flughäfen weltweit und bereitete uns in keinster Weise auf das vor, was uns in der 5 Millionenstadt Hyderabad erwartete. Der für uns gewöhnungsbedürftige Linksverkehr war dabei das Geringste. Eng an eng schlängelte sich der Verkehr durch die Stadt -  Autos, Rikschas, Mopeds, Fahrräder, Menschen und Kühe schienen ohne Ordnung zu sein. Spiegel sind eingeklappt und Blinker scheinen keine Rolle zu spielen. Überholen ist rechts wie links in jeder Lücke möglich und Verkehrsregeln werden durch andauerndes und lautes Hupen geklärt. Aus einem geregelten, strukturierten Deutschland kommend bedeutete diese Ankunft in Indien eine leichte Überforderung. Und genau wie Birte uns sagte erlebten wir, dass in diesem offensichtlichen  Durcheinander sich alles doch auf ganz fantastische Weise regelt und dieses Chaos doch eine Ordnung zu haben scheint.
Diesen Eindruck sollten wir noch in ganz vielen Momenten und Begegnungen unserer Indienreise erleben.
Wir werden hier keinen Reisebericht schreiben, uns ist wichtig einige Eindrücke widerzugeben, die uns nachhaltig beeindrucken und beschäftigen.
Ohne die gute Vorplanung und Ausarbeitung der Route durch Birte und ohne ihren engagierten Job als „Reiseleitung“ hätten wir ganz sicher eine andere, nicht so individuelle Indienreise erlebt. Wir reisten mit Zug, Bus (sleeper bus), Taxi und Rikscha zu den unterschiedlichsten Orten ( Hyderabad, Bogaram, Bangalore, Maysore, Nargarhole und Goa), das Gepäck immer dabei und nicht wissend, wo wir die nächste Unterkunft haben werden.
Wenn man in den letzten Jahren einen doch sehr anderen Urlaub gemacht hat, so bedeutet ein solcher Urlaub in einem Land wie Indien - das so voller Schönheit und Müll, so arm und reich, so vielfältig und gegensätzlich und so voll von unterschiedlich lebenden Menschen ist - durchaus eine Herausforderung. Begegnungen unterschiedlichster Art, Gesehenes, Gehörtes und Erlebtes haben so intensive Eindrücke bei uns hinterlassen die sicher noch lange nachwirken.
Am meisten beeindruckt hat uns das „indische“ Leben unserer Tochter, wie sie unter teilweise schwierigen Bedingungen sich den Aufgaben stellt und diese bewältigt, was wir sehr wertschätzen und bewundern. Ein besonderes Erlebnis unserer Reise war der Tag in dem Mädchenheim, zu sehen wo und wie sie lebt und die Begegnung mit den Mädchen und mit Alma, denn sie sind wichtige Personen in Birtes Leben geworden und gehören zu ihrem Alltag.
Wir sind dankbar, dass wir gemeinsam diese Reise mit unserer Tochter erlebet haben und wir ein bisschen teilhaben konnten an ihrem Leben. Wohl wissend, dass Eltern auch anstrengend sein können würden wir diese Reise jederzeit wieder machen (das soll keine Drohung sein!) und mehr von Indien entdecken wollen. Denn wir finden
                                         INDIEN IST ANDERS  -   INDIEN IST MEHR
Wir wünschen Birte eine schöne, erfahrungs- und erlebnisreiche Zeit und sind in Gedanken bei ihr


Montag, 5. März 2012

Wie ich versehentlich Alice Schwarzer stolz machte



Hier sitze ich nun in einer Halle gefüllt von Feministinnen. Lauter Fratzen, die stolz ihre Bein- und Gesichtsbehaarung zur Schau stellen, die für die Weiblichkeit kämpfen obwohl sie selbst aussehen wie weißrussische Kugelstoßerinnen. Bilde ich es mir ein oder hängen ihnen tatsächlich Schilder um den Hals, die in großen Lettern aussagen was keiner Aussage mehr bedarf: „Ich bin chronisch unbefriedigt!“?
Und während ich mir stundenlang Vorträge auf Telugu anhöre vertiefe ich mich in Gedanken, ob es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen schlechtem Aussehen und dem übermäßigen Engagement in Sachen Frauenrechte gibt… Ach, sieh an, da hinten sind ja auch ein paar mickrige Männerchen. Die scheinen den Braten mit den unbefriedigten Emanzen gerochen zu haben –Quantität statt Qualität. Und auch wenn, oder gerade weil mir jedes Verständnis für das Erscheinen männlicher Besucher fehlt, so muss ich den Herren doch zugutehalten, dass sie Mut haben. Ich hätte angesichts der üblen Blicke viel zu große Angst, nur noch als halber Mann den Saal zu verlassen – echt.

Plötzlich hören meine Ohren, die längst darauf abtrainiert sind, nur noch ganz spezielle Wörter rauszufiltern und dann bis zu meinem Gehirn weiterzuleiten, ein mir nur allzu vertrautes Wort, das mir das erste authentische Lächeln des Tages entlockt: „Snacks!“

Ich eile runter. Kekse und Tschai – Strike! Erst jetzt wird mir klar, wie glücklich ich mich schätzen kann, einen Platz in der ersten Reihe zu besetzen, denn so konnte ich für lange Zeit verdrängen, welche Rolle ich an diesem Tag mal wieder übernehmen sollte: Ich bin der Affe im Zoo. Nein, schlimmer noch, denn die Menschen versuchen nicht einmal mich zu füttern sondern lediglich Fotos zu schießen und mich zu begrabschen. Ich lächle schüchtern und versuche jede Art des Blickkontakts zu vermeiden.

Buff, „AUA!“, „OH SORRY!!!“, „Verdammte Scheiße, geht’s noch?!“

Nicht nur, dass ich einfach mal so gewaltvoll angetippt werde, dass ich mir meinen kochend heißen Tee über den Arm kippe, nein, jetzt ist auch noch mein weißes T-Shirt im Arsch!

Eilig kommt eine Freundin der Attentäterin zur Hilfe: „Sorry, Madame, my friend doesn’t speak English!“

Freundlich lächelnd (für diese Darstellung hätte ich nen Oscar verdient!) drehe ich mich zu meiner Tee-Bekanntschaft um: „Ach weißt du, das macht üüüberhaupt nichts! Ist ja ganz selbstverständlich, dass ich hier durchgängig den Kasper spiele, der 200 Mal dieselben bescheuerten Fragen denselben bescheuerten Menschen beantwortet, die zwar in der Schule den Fragesatz gelernt haben, aber meine Antwort überhaupt nicht verstehen. Es macht mir im Übrigen auch tierischen Spaß mich mit so rücksichtsvollen Menschen wie du einer bist fotografieren zu lassen. Und davon abgesehen macht es mich regelrecht an, am Tag 80 Paar schwitzige Hände zu schütteln wenn es auf dem Klo nicht mal Seife gibt!“

„You are so nice, sister!“ lautet die Gegenreaktion.

Anstatt mir einen neuen Tee zu holen, beschließe ich, auf Toilette zu gehen. 

Geil.

 Da halten Emanzen Emanzenvorträge für andere Emanzen, in denen sie die Welt verändern wollen und zwei Minuten später werde ich vor die Tatsache gestellt, dass es in dem riesigen Gebäude sechs Toiletten für Männer und genau eine einzige für Frauen gibt. Die Reihe vorm Klo ist 20 Meter lang, macht nach dem Einsteinischen Klogesetz etwa 35 Minuten Wartezeit – zu lang!

„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, denke ich mir und da ich sowieso der ungewollte Mittelpunkt der Veranstaltung bin, trete ich vor die Menge und unterbreite ein Angebot, dass man (also auch Mannsweib) nicht abschlagen kann: „Hey, can you listen for a second? Why don’t we just use the Gents toilet, too? I can only see women, so there won’t be any problem…!”

Blankes Entsetzen ist die Antwort. „No!“, „NO!!“, „No, no, no!!!!“, rufen alle hektisch durcheinander (in diesem Moment stellte ich fest, dass es doch irgendwo Frauen sein müssen…).

„Ach leckt mich doch!“, sage ich in neutraler Tonlage (der Ton macht die Musik!) und gehe entschlossen an der Warteschlange vorbei aufs Männerklo.

Mein Kopf redet noch etwa 5 Minuten mit den verklemmten Damen vor der Tür, die sich hoffentlich vor lauter politischer Korrektheit in die Hose machen, während ich mir bereits die Hände wasche. Plötzlich klopft es. HÄ? Klopfen? Eine Männerstimme ertönt: „Madame, please come outside!“, höre ich eine nun recht raue Männerstimme.

Moment mal, werde ich hier gerade aus dem Klo geschmissen?! Ich öffne die Tür. Ein Mann in Nadelstreifenanzug, groß gebaut, steht vor mir und guckt mich erbost an.

„I am the owner of this house and I you are not allowed to use this toilet! This is for men only, you have to use this toilet!”
“Ok, sorry…”, höre ich mich sagen. Bin ich eigentlich bescheuert?! OK?! SORRY?! Der Schnösel soll sich mal….Mann ey! Ich gehe völlig verunsichert zu meinem Sitzplatz zurück. 

Auf halber Strecke drehe ich mich auf dem Absatz meiner Flip-Flops um, laufe mit ausgestrecktem Zeigefinger zurück und brülle: „Eines sag ich euch: Ihr Emanzen seid auch nicht mehr das, was ihr mal ward!“

Samstag, 3. März 2012

Finally back: 3 minutes in the brain of Birte


Ich hab keine Lust


Ich habe beschlossen, dass der Satz „Ich hab keine Lust“, das beste Argument der Welt ist. Man sollte nichts tun worauf man keine Lust hat.

„Ach, die hat doch keine Ahnung, wie der Hase läuft!“, höre ich die Rufe schon bis nach Bogaram klingen. „Ich muss zur Arbeit, ich muss kochen und die Wäsche macht sich auch nicht von alleine!“, höre ich das ewigen Klagen.
Dabei ist die Gleichung doch eine ganz einfache:

Wenn ich keine Lust habe, meine Klamotten zu waschen, dann mach ich es halt nicht. Das Ganze geht so lang, bis ich nur noch Dreckwäsche im Koffer habe. Und dann hab ich plötzlich Lust zu waschen, weil die Unlust, mit dreckigen, stinkenden Klamotten rumzulaufen, die Überwindung jene zu reinigen schließlich übersteigt.

Würden wir alle nur noch Dinge tun, auf die wir Lust hätten wären wir glücklicher und in jeder Hinsicht reicher. Denn dass wir nur in den Dingen herausragend sind, die uns wirklich Spaß machen und interessieren ist keine Neuheit. Ich gebe zu, manchmal muss man seine Lust etwas austricksen, doch im Großen und Ganzen muss ich mir auch beim zweiten „Drüber-Nachdenken“ meiner Theorie eingestehen, dass ich Recht habe.

Ich habe  nicht über den Besuch meiner Eltern berichtet, weil keine Lust hatte, ich habe heute keinen Computerunterricht gegeben, weil ich keine Lust hatte, ich hab mir die Haare nicht gewaschen, weil ich keine Lust hatte und möglicherweise werde ich diesen Text nie ins Internet stellen einzig und alleine, weil ich dazu keine Lust habe.


Nein, heute gibt’s keinen Schlusssatz, denn: Ich hab keine Lust.