Freitag, 28. Oktober 2011

Warum das Leben kein Ponyhof ist



Dass das Leben hier noch weniger einem Ponyhof ähneln würde wie das in Deutschland, war von Anfang an klar. Und dennoch bin ich teilweise frustriert, wenn ich feststelle, dass ersteres nicht mal annähernd einem Eselstall gleicht. Ja, manchmal fühle ich mich sogar wie im Rattenkäfig. 

Heute hab ich zum ersten Mal ernsthaft gedacht: „Ich wäre jetzt gerne Zuhause.“ Warum jetzt, warum heute? Ich kann nicht behaupten, dass es mir gerade schlecht geht. Natürlich gibt es Hoch- und Tiefpunkte, doch sie finden alle in einem sehr akzeptablen Rahmen statt. (Die letzten Tränen hab ich vor drei Tagen  vergossen, als mir beim Yoga Schweiß in die Augen lief, also im Nachhinein nichts Dramatisches (in dem Moment natürlich schon, weil ich für kurze Zeit erblindete und bei meinem „Oh-scheiße-das-brennt!!!-Tanz“ über ein Rohr stolperte…naja, den Rest der Geschichte lass ich mal unkommentiert…!) )

Doch kennst du das? Wenn man sich unter vielen Menschen furchtbar einsam fühlt? Vielleicht, weil sie alle Fremde sind, vielleicht, weil man sich kaum mit ihnen verständigen kann, vielleicht aber auch einfach, weil sie einen komplett anderen Lebenstil verfolgen, als du… Ich weiß nicht, aber ich habe mich hier schon oft von allem verlassen gefühlt: Von Menschen, Dingen, Gewohnheiten. Ja, manchmal fühlte ich mich sogar gottverlassen in meinem Rattenkäfig mitten im Nirgendwo.

Und heute, am Tag, an dem alle wichtigen Menschen in meinem Leben bei mir Zuhause in Reichensachsen sitzen, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Ich wurde nicht verlassen, nein. ICH war diejenige, die alle verlassen hat. Und diese äußerst primitive Einsicht baut mich  auf, weil ich daran erinnert werde, was mich hierher getrieben hat, dass ich freiwillig hier bin und dass es in Deutschland Menschen gibt, die auf mich warten. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, dafür ist mein Ego zu groß. Ich habe nur lediglich manchmal das Gefühl, etwas zu verpassen, doch auf meiner Liste, der Eigenschaften, die ich mir während meines Indien-Jahres aneignen will, steht auch: „Damit aufhören, mich und mein Leben mit dem anderer zu vergleichen“. Und mal ehrlich: Der Schuppen hat sowieso unheimlich an Charakter verloren und ohne mich ist es dort bestimmt sowieso ziemlich langweilig (an dieser Stelle könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr den letzten Satz in die „Ironie-Schublade“ stecken wollt oder nicht…).

So, und um zu verstecken, dass dieser Text keinen roten Faden hat, nehme ich jetzt nochmal Bezug auf die Überschrift:

Ponyhöfe sind bestimmt sowieso blöd. Da gibt’s nur Stress mit Tussen, die sich um das Pferd mit der längsten Mähne streiten, die Ponys dort sind völlig willenlos und statt nem kühlen Blonden trinkt man nen heißen Früchtetee, ungesüßt, versteht sich. Davon abgesehen, würde ich als Pferd viel lieber auf nem richtigen Bauernhof leben, wo auch mal andere Gestalten, wie Kühe und Schweine rumlaufen. Natürlich: Ponys sind ja soooo süüüüüß (besondern wenn sie Polly heißen, steinalt sind, kaum noch gehen können und zu 95% blind sind…)! Reiten macht auch tierisch Spaß, bestreite ich gar nicht. Doch wenn man sein Leben auf dem Ponyhof verbringt kann man auch gleich als Hamster im Rad leben.


Das Leben ist kein Ponyhof, weil es mehr als nur Ponys gibt und alle Tiere irgendwann Bewegung brauchen. Und wenn es nur ein wenig Auslauf im Rattenkäfig ist…

Freitag, 21. Oktober 2011

Das Rauschelchen im Vollrausch!


Eieiei! Es ist ja so viel passiert in den letzten Tagen…
Doch die größte Sensation von allen ist eindeutig die, das nun endlich wieder Busse fahren!! Nach etwa vier Wochen, in denen es mir quasi unmöglich war das Heim und das Kaff zu verlassen, steht mir nun das Tor zu großen weiten Welt wieder offen, zumindest fühlt es sich so an. Und abgesehen davon, hat die Sache mit dem Busfahren auch einen sehr angenehmen Nebeneffekt: man lernt Menschen kennen. So hab ich am Mittwoch auf der etwa einstündigen Fahrt nach Tarnaka mit Fatima, eine jungen Grundschullehrerin, und ihrer Freundin, deren Namen ich zu meiner Schande vergessen habe,  Bekanntschaft geschlossen. Wir konnten uns einigermaßen passabel unterhalten, was wirklich eine positive Abwechslung darstellte, da das in der Regel aufgrund der sehr geringen Englisch-Kenntnisse und dazu der…nun ja…sagen wir mal „anderen“ Aussprache der Inder nicht möglich ist, bzw. eine Unterhaltung nicht über „How are you?“ und „Where do you come from?“ hinausgeht. Fatima hat mir ständig gesagt, wie „sweet“ ich doch sei und uns (Alma und mich) dann schließlich zu sich nach Hause eingeladen, woraufhin wir unsere Nummern getauscht haben. „Waiting for your call!“ war das letzte was sie sagte, bevor sie sich mit einem breiten Grinsen verabschiedete.

Im Office unserer Organisation angekommen, hatten Alma und ich dann ein längeres Gespräch mit unserer Chefin Sumitra über unsere zukünftige Wohnsituation, weil es doch oft nicht einfach ist, hier zu leben, auf engstem Raum mit der indischen Kultur, teilweise ohne Rückzugsmöglichkeiten, unter lauter Fremden, die einen so gut wie gar nicht verstehen, mitten im Nirgendwo. Jedenfalls war das Ergebnis unseres Gespräches, dass wir hier bleiben, da die Stadt zu weit weg vom Heim ist und es im Office für uns nichts zu tun gibt. Allerdings werden wir zum einen nun häufiger (dem Ende des Busstreiks sei Dank!)  in die Stadt fahren und eventuell auch mal übers Wochenende in ein Hostel ziehen um auch noch eine andere Seite Indiens zu sehen, die das Leben für uns als „Westler“ um einiges vereinfacht! Denn als wir dann zu zweit loszogen, fühlten wir uns wie Kaspar Hauser, als  er zum ersten Mal das Tageslicht sah, wie eine junge Mutter, die nach Schwangerschaft und Stillzeit endlich wieder Alkohol trinken darf, wie Benjamin Blümchen, als er nach zwei Monaten Zucker-Entzug von seinem Freund Otto zum Geburtstag einen ganzen Berg Zuckerstückchen bekommt, wie Christoph Kolumbus, als er Amerika entdeckte, wie Fabian Hambüchen, der nach einer Verletzung für 5 Wochen nicht trainieren konnte, wie Kurt Cobain, als er das erste Mal Drogen konsumierte.

Denn was Deep Purple ohne „Smoke on the water“ ist, was Bibi Blocksberg ohne ihren Besen Kartoffelbrei ist, was Pünktchen ohne Anton ist, das bin ich ohne ein Minimum an westlichen Gewohnheiten.

Ich hätte ohne weiteres in einen extremen Kaufrausch verfallen können, doch ich konnte mich beherrschen, sodass es nur ein recht großer Kaufrausch wurde. Wir setzten uns zum ersten Mal in eine Art Cafe und tranken etwas, wir kauften in einer indischen Konditorei massenweise (ok, in diesem Fall spreche ich nur von mir…) Süßigkeiten, fanden eine Buchhandlung und schließlich das indische „Real“, das sich hier „Big Bazaar“ nennt. Wir mussten unsere Taschen an einer Garderobe abgeben und durch eine Sicherheitssschläuse gehen, die der am Flughafen in nichts nachsteht (inklusive Abtasten!). Doch was unsere Augen dann erblickten, ließ meinen Atem stocken und dennoch stand ich gleichzeitig kurz vor dem Hyperventilieren. Die oberen drei oder vier Etagen hatten wir schnell durchforstet, denn eigentlich wollten wir nur unsere Vorfreude auf das Untergeschoss, wo es Nahrungsmittel gab, ins Unermessliche steigern, was uns tatsächlich gelang.

Es gab echte (!!!) Cola, es gab Käse, Nudeln, Nutella, Erdnussbutter, Ritter Sport, Chips – kurz: Es gibt alles, was man zum Leben braucht! Der Wahnsinn!! Seit 38 Tagen habe ich quasi vegan gelebt (mal abgesehen von dem Schluck Milch in meinem Tee), drei Mal täglich Reis gegessen, mal mit Blättern, mal mit Bohnen, mal mit Erbsen oder sämtlichem vergleichbaren Gemüse, dass ich zuvor nicht kannte. Immer scharf, nie einen Tropfen Öl oder einen Krümel Zucker mehr, als unbedingt notwendig, immer stilles Wasser (außer der Fake-Cola, die ich mir zwei Mal geholt hatte). Nein, ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl war!

Und zu eurer großen, aber meiner noch viel größeren Verwunderung konnte ich von den allermeisten Sachen die Finger lassen. Denn als ich es so sah, alles auf einem Haufen, der totale Überfluss, da stellte ich fest, dass ich doch irgendwie noch drauf verzichten kann. Natürlich nicht auf alles. Ich kaufte mir kleine Kuchen, Cola und Bonbons. Keinen Käse (der war mir auch ehrlich gesagt zu teuer), kein Nutella, keine Schokolade. Ich wusste einfach, dass ich mich in einem anderen Moment noch viel mehr über diese Dinge freuen würde, es war einfach noch nicht an der Zeit.

Dann gingen wir mit etwa acht Tüten beladen und ziemlich erschöpft zurück ins Office. Ich war einerseits überglücklich, habe mich andererseits aber auch noch nie in meinem Leben so ausländisch gefühlt. Ich bin der weiße Touri, der wirklich alle Klischees erfüllt, von der teuren Cola bis hin zur Sonnenbrille. Aber ich konnte mich mit dem Gedanken arrangieren, denn ich wusste, dass dieser Moment vergänglich ist, und dass ich ansonsten ein ziemlich indisches leben hier führe, vom Reis bis zum Yoga.

Da wir noch nicht selbstständig Busfahren können, weil es keinen Fahrplan gibt und man blitzschnell reagieren muss, wenn der richtige Bus kommt, da sie immer nur für Sekundenbruchteile, so scheint es, anhalten (die meisten steigen während der Fahrt zu), kam Saramma, ein 14-jähriges und ziemlich kleines Mädchen aus dem Heim mit uns. Und schon wurde mir bestätigt, dass das Gefühl vom Klischee-Touri vergänglich ist. Denn wir sahen nun aus wie Frodo und Sam, die von Gollum nach Mordor geführt werden, um den Ring ins Feuer zu werfen, nur sahen wir natürlich tausend Mal besser aus! Zumindest ich war völlig orientierungslos, mit Essen bepackt und erschöpft. (An dieser Stelle könnte ich jetzt auch eine klasse Parallele zwischen Mordor und Bogaram ziehen, doch ich glaube ich wäre nur noch frustierter von dem Ergebnis, wenn mir auffällt, dass es einfacher gewesen wäre, die Unterschiede aufzuzeigen.)

Auch die Rückfahrt im Bus war wieder ein Erlebnis. Es war eng, heiß, alle schwitzten, es stank, klebte, war dreckig. Ich stand im Gang mit meinen Tüten und meiner braunen Umhängetasche und stellte mal wieder fest, welche Vorteile es hat, klein zu sein. Ich versank in Gedanken und legte in meinem Kopf die Reihenfolge fest, in der ich meine Süßigkeiten verspeisen würde, als ich plötzlich heftig angerempelt wurde. Der Fahrscheinverkäufer. Und ich stand wohl im Weg. Er beschimpfte mich, ich verstand natürlich kein Wort. Ich wusste nicht, ob ich vor oder zurück sollte, weil eigentlich keins von beidem möglich war, weil es viel zu eng war und überall Menschen standen. Er brüllte und gestikulierte wild umher, doch ich war einfach überfordert. Dann sah ich eine kleine zierliche Frau die mir ein Handzeichen gab, das ich verstand: ich sollte mich zu ihr setzen. Natürlich war dort eigentlich kein Platz mehr, doch ich hatte ja auch keine Alternative. Also saßen wir mit vier erwachsenen Menschen auf zwei Sitzplätzen. Die Tatsache, dass ich unmöglich entfliehen konnte, weil ich einerseits Angst vor dem Kontrolleur hatte und ich andererseits zwischen den Menschen feststeckte und bewegungsunfähig war, wurde schamlos ausgenutzt. Ich wurde bombardiert mit Fragen! Von mindesten drei Personen gleichzeitig. Bitte nicht falsch verstehen: Sie waren alle unglaublich nett, aber es war nicht einfach für mich, wo mir offensichtlich schon die „Multitasking-Fähigkeit“ fehlt, nun auch noch die „Endlesstasking-Fähigkeit“ an den Tag zu legen. Zwischen allen möglichen Fragen, die ich schon kannte und die sich in aller Regel auf meine Herkunft bezogen und meine Arbeit hier in Indien, stach eine Frage hervor. Es war die nach einem Autogramm von mir. Ich musste lachen und fragte die Frau, ob sie das ernst meint, woraufhin sie energisch bejahte. Nun gut, dachte ich mir, es gibt ja genug Gründe, um von dir ein Autogramm zu wollen! Also nahm ich den Stift, den sie mir reichte und gab zum ersten Mal in meinem Leben ein richtiges Autogramm und das, ohne jemanden dafür zu bezahlen, dass er es nimmt! In diesem Moment fiel nicht nur meine eigene Hemmschwelle, sondern auch die der anderen Menschen im Bus. Ich gab also fünf weitere Autogramme. Dann ging es weiter mit der Bitte um meine Handynummer, die ich allerdings ablehnte und stattdessen „nur“ meine E-Mail-Adresse rausgab.

Trotz all der tollen und beeindruckenden Erfahrungen, war ich froh, am Abend wieder im Heim anzukommen. Alles in allem war es ein guter Tag.

Um langsam zum Schluss zu kommen, hier noch in Stichpunkten, was ich in den letzten Tagen festgestellt oder gelernt habe:

-„Baby Hair Oil“ von Johnson´s ist der letzte Scheiß! Ich wollte gepflegtes, weiches Haar und jetzt ist es einfach nur extrem fettig! Zum Glück hab ich es nur in die Spitzen geschmiert…Naja, immerhin ist jetzt mein Rücken an der Stelle, wo meine Haare sind, wenn ich sie offen trage, samtweich und wie eingecremt!
-Piercings sollte man sich nicht mit einer Pistole stechen lassen, das ist zu gefährlich!

-Coca-Cola gehört die Welt! Die verkaufen hier echt ALLES!

-Die Inder sind nicht gerade geschäftstüchtig: Statt mit der Riksha einfach zweimal zu fahren, wartet man eine halbe Stunde, um sie bis zum letzten Millimeter vollzustopfen. Leider ist das einigen zu lang, sodass sie mit dem Bus fahren. Am Ende ist die Riksha dann nur noch halb voll.
Und:

-Angeblich gibt es in unmittelbarer Nähe unseres Heimes freilebende Elefanten und Tiger! (Ich zu Manasa: „Oh, I wanna see a tiger! Can I go there?“ – Manasa ganz trocken: “Oh, sister, you are so sick!”)

Montag, 17. Oktober 2011

Als Meister Propper das erste Mal alleine in den Kindergarten ging


„Ach komm, die Hose kannst du ruhig noch nen Tag anziehen!“, „Oh nein, ausgerechnet jetzt sehe ich da gaaanz hinten am Horizont eine kleine dunkle Wolke. Wäre ja blöd wenn du dir die Mühe umsonst machst.“, oder auch „So ein Pech, jetzt ist gerade leider kein Eimer für mich frei!“, sind nur drei der etlichen Ausreden, die ich bisher gefunden habe, um das Waschen meiner Klamotten noch ein wenig vor mir herzuschieben. Da die Inder in ihren ganz normalen Klamotten schlafen und hier sowieso jeder weite, dünne Hosen trägt, habe ich es mir sogar schon zur Gewohnheit gemacht, im Schlafanzug rumzulaufen (ihr glaubt ja gar nicht, wie viele Komplimente ich an dem Tag bekommen habe, als ich mich zum ersten Mal im Schlafanzug vor die Tür getraut habe!). 
Doch irgendwann muss man sich eben der Herausforderung stellen, zumal ich eigentlich sogar Spaß am Waschen habe, es fehlt mir nur lediglich manchmal der Antrieb. Heute war es dann jedenfalls endlich wieder so weit, schließlich hatte sich eine Menge in meinem Rucksack, der mir als Wäschebeutel dient, angestaut. Wahrscheinlich war es Übermotivation, die mich auch noch mein Bettlaken und die Decke in den Rucksack stopfen ließ, vielleicht hab ich aber auch einfach unterschätzt, wie schwer so eine Decke sein kann, wenn sie sich mit Wasser vollgesogen hat – kurzum: ich hatte einen blonden Moment.
Voller Elan, mit dem prall gefülltem Rucksack (und der ist ziemlich groß!) und der Kernseife in der Hand, stapfte ich die Treppe hinunter zur Universal-Waschstelle, wo Geschirr, Töpfe, Klamotten und Menschen gewaschen werden. Es gibt zwei Wasserhähne, Eimer und einige Steine, auf denen gewaschen wird. Als angehender Wasch-Profi hab ich natürlich erst einmal meine Wäsche sortiert. Jedoch nicht unbedingt nach Farben, sondern eher nach dem Grad der Verschmutzung und der Gefahr des Abfärbens, denn mittlerweile kenne ich meine Pappenheimer gut genug, um zu wissen, welche von ihnen überempfindlich auf die Behandlung mit der Kernseife reagieren (um das rauszufinden musste ich jedoch schon das ein oder andere Kleidungsstück opfern). Nachdem ich mir mühevoll einen Eimer ergattert hatte, begann die Zeremonie mit dem Einweichen. Dann suchte ich mir einen geeigneten Stein auf dem ich das nasse Kleidungsstück ausbreiten konnte. Eine Karaffe mit Wasser stellte ich neben mich. Ich packte meine Seife aus und fuhr gekonnt immer wieder über den Stoff, nahm hin und wieder die Karaffe, um die Wäsche zu befeuchten, da sonst kein ordentlicher Schaum zustande kommt. Und so rieb ich immer schön mit der Hand auf dem Stein herum. Quasi Rubbellos für Fortgeschrittene. Und als ich an die Rubbellose dachte, hatte ich plötzlich eine Idee. Denn schließlich rubbelt man in der Regel ja nicht mit den Fingern, sondern mit einer Münze. Und dann fiel es mir ein: Ich hatte ja noch diese kleine Handbürste in meinem Kulturbeutel! Ich flitzte hoch in mein Zimmer, schnappte mir die Bürste und probierte es aus. Es funktionierte einwandfrei! Endlich konnte ich die Seife gescheit verteilen, den Schmutz rausbürsten und das, ohne mir die Fingerkuppen halb abzuschleifen! Es war, als hätte ich das Rad neu erfunden!
An einem einzigen Tag entwickelte ich mich vom angehenden Wasch-Profi zu Meister Propper höchstpersönlich. Und dass Meister Propper so muskulös ist kommt nicht von ungefähr: Denn die Sauberkeit der Wäsche steigt proportional zur körperlichen Betätigung. Darüber hinaus zwingt mich die nicht sichergestellte Wasserversorgung zum sparsamen Umgang mit dem kostbaren Element (diese Sparsamkeit werde ich morgen Früh sicher in meinen Armen spüren). Mit offenem Mund beobachte ich regelmäßig die 8-jährigen Mädchen, die mit purer Gewalt die größten Bettlaken auf den Boden schlagen, um sie vom Wasser zu befreien. Natürlich schmunzeln sie über meine Art, zu waschen, geben mir regelmäßig Tipps, die ich zuerst nicht annehmen wollte, allerdings habe ich mittlerweile eingesehen, dass es doch einiges für sich hat, es genau so, und nicht anders zu machen. Und während ich klatschnass rubbel, reibe und schrubbe, hüpfen fünf kleine, nackte Mädchen quietschvergnügt neben mir auf und ab, während die älteren die Töpfe schrubben. Ich werde gefragt wie ich in Deutschland wasche (dass ich es auf eine andere Art als die indische mache, ließ sich nicht verstecken) und ich sage, dass wir eine Waschmaschine haben und dass meiner Mutter für mich wäscht. Sie fragen, ob meine Mama auch die Triple-X-Seife nimmt, dass sei nämlich die beste und ob wir lieber auf den großen Steinen, also im Stehen oder auf den kleinen, also in der Hocke waschen. Mein Versuch, die Funktionsweise einer Waschmaschine zu erklären scheiterte schon daran, dass sie nicht verstanden, wie die Klamotten nass werden können, ohne dass man mit dem Eimer Wasser draufgießt. Mit Weichspüler, Trockner oder Bügeleisen brauchte ich gar nicht erst anzufangen…

Trotz der Strapazen (oder vielleicht gerade deshalb?) macht das Waschen Spaß. Es macht glücklich, wenn man nach vollbrachter Arbeit, die verschrumpelten Hände sieht, sich von oben bis unten mit Schaum eingesaut hat, man weder Rücken, noch Arme beschwerdefrei bewegen kann und vor allem aber das Schmutzwasser, das wirklich richtig schmutzig ist, mit Schwung wegschüttet.
Vom Sortieren bis zum Aufhängen der Wäsche waren zweieinhalb Stunden vergangen. Ich war sehr zufrieden mit meinem Werk und merkte wieder mal, wie typisch deutsch ich doch bin, wenn mir Produktivität und Effizienz so viel Befriedigung verschaffen.

Um mich selbst zu belohnen, aber auch, um mein Käfer-Trauma zu überwinden, beschloss ich, nach Bogaram zu gehen, um mir (ihr werdet es kaum glauben…) Kekse zu beschaffen.
Alma hatte sich gerade hingelegt und da ich ungern wieder mit zwei der Mädchen Kekse kaufen wollte (ist nämlich ein blödes Gefühl, sich vor den neidischen Kinderaugen Süßigkeiten zu kaufen, die diese sich nicht leisten könnten…) beschloss ich mal zu versuchen, alleine (!!!) das Heim zu verlassen, um zum ca. einen Kilometer entfernten Kiosk zu gehen. Bislang wurde mir das nämlich noch nie erlaubt, was bedeutet, dass ich seit nun 36 Tagen nicht einen einzigen Schritt außerhalb des Heimes alleine gelaufen bin. Das hat zu großer Unzufriedenheit geführt, ich habe mich teilweise gefühlt wie ein Vogel im verrosteten Käfig (goldener Käfig wäre dann doch nicht wirklich angebracht).

Doch genauso wenig wie ein Indianer Schmerz kennt, lässt sich Meister Propper den Wind aus den Segeln nehmen. Also ging ich zur Heimleiterin und sagte ganz selbstverständlich, dass ich mal kurz nach Bogaram gehe. Und schwupps! Sie nickte nur und bevor sie es sich anders überlegen konnte, oder nach meiner Begleitung fragen konnte, machte ich mich aus dem Staub.

Mir war gar nicht klar, wie sehr ich es vermisst hatte, alleine durch die Gegend zu laufen! Gleichzeitig fühlte es sich auch ganz neu und aufregend an. Ich, Birte, war endlich alleine unterwegs. Es war das gleiche Gefühl wie damals, als ich zum ersten Mal selbstständig in den Kindergarten ging. Und genauso, wie ich mich damals beim Straßenüberqueren konzentrierte, dachte ich nun daran, die Kordeln meiner Hose zu verstecken (das wirkt wohl angeblich aufreizend) und blickte nach unten, sobald mir Männer entgegenkamen (allerdings hauptsächlich weil ich gar nicht wissen wollte, ob sie mich, oder viel mehr meine Haare, angafften). Ich genoss es durch und durch und bin richtig stolz auf mich! 

Die kleine Birte hat damals im Kindergarten all ihren Freunden berichtet, dass sie zum ersten Mal alleine in den Kindergarten gelaufen ist und die große  Birte lässt nun die ganze Welt wissen, dass sie heute zum ersten Mal alleine nach Bogaram gelaufen ist. Und damit sich der Kreis völlig schließt fehlt nur noch ein Satz: Meister Propper wäre stolz auf mich.

P.S.: An dieser Stelle gebührt meiner Oma Gisela ein großer Dank für die Unterhosen, die ich regelmäßig zu Ostern und zum Nikolaus bekommen habe und die sich nicht in erster Linie für ihr ansprechendes Äußeres, dafür aber für den sehr hohen Tragekomfort auszeichnen: Es sind die einzigen Kleidungsstücke, denen das Waschen auf dem Stein nichts auszumachen scheint (wer hätte gedacht, dass ich „Sippel&Benzin“ in diesem Leben nochmal was Positiven abgewinnen werde?)!

Freitag, 14. Oktober 2011

Das Krümelmonster und der Monsterkrümel


„Lecker!“, denke ich, als ich endlich mal wieder die eigentlich nicht sonderlich gut schmeckende Schokocreme meiner Kekse, die ich mir kurz zuvor gekauft hatte, auf meiner Zunge zerlaufen lasse. „Zucker!“, „Endorphine!“, das ist alles was sich in meinem Hirn abspielt. Gut, ich gebe zu, das ist nicht sonderlich viel, aber schließlich war ich eine gefühlte Ewigkeit auf Entzug.

Umso mehr freu ich mich, als ich in die Kekspackung blicke und einen fingernagelgroßen, dunklen Krümel darin entdecke. Diesen unerwarteten Glücksmoment gilt es, zu genießen. Also stecke ich ihn mir schnell in den Mund, bevor die  kaltblütige Ameisenarmee über ihn herfallen kann. Meine noch immer mit Schokocreme behaftete Zunge umspielt gierig das Stück Gebäck und schiebt es dann zwischen die Kauleisten, um es für den Verzehr vorzubereiten. Ich beiße zu. Ein ungewöhnlich lautes  Knacken ist zu hören. Noch bevor ich die Bewegungen der kleinen Beine spüre, nehme ich einen extrem ekelhaften, bitteren, giftigen Geschmack wahr.
Der Käfer, der sich als Krümel getarnt in meinen Mund geschmuggelt hatte, ist nun in zwei gleich große Hälften geteilt und sein zähflüssiger Inhalt läuft auf meine Zunge. Zu allem Überfluss zappelt er auch noch! Ich spucke ihn hastig auf meine Hand und beschimpfe ihn. Ich laufe ins Bad und ertränke das Mistvieh im Duschwasser vom Vortag. Ich versuche mit aller Kraft, den Käferschleim auszuspucken, doch der Geschmack ist einfach zu intensiv. Ich greife zur Zahnbürste, drehe den Hahn auf: „Verdammt!! Kein Wasser.“

Wie die Geschichte ausging? Nunja, meine letzte Alternative bestand darin, die zweite Packung meiner Kekse schnell hinterher zu essen. Und so befinde ich mich wieder auf Entzug, also kann ich nicht dafür garantieren, beim nächsten Mal genauer hinzusehen… 

Sonntag, 9. Oktober 2011

“No, not äitsch sister! It´s ättsch!”


Ach Ashwini, du bist, abgesehen davon, dass du ständig abgelenkt bist, ein cleveres Mädchen. Aber glaub der alten Dame, wenn sie dir mit deinen unschuldigen sieben Jahren versucht zu erklären, dass das „H“ wie äitsch ausgesprochen wird!

“No, sister, not jäiet (=8), it´s ättsch!“




“Well, neither jäiet nor ättsch is correct. So, just listen to me for two seconds. It´s äiet, not jäiet. And it´s äitsch, not ättsch. And, by the way, it´s not fai (=5), it´s faiFFFF and it´s not lävän (=11), it´s EEElävän… Please, believe me!”

(Ihr kennt mich, da bin ich pingelig!)

“No, sister, no!!!”

Tja, leider wird man hier schnell überstimmt, schließlich haben sich hier alle diese Aussprache angewöhnt. Noch dazu hat Ashwini neben dem generellen Heimvorteil auch noch eine Zwillingsschwester, die ihr in schwierigen Situationen (und als solche kann man die beschriebene durchaus bewerten) zur Seite steht - komme was wolle.

Neben der bereits kurz geschilderten Kommunikation höre ich einen Satz quasi alle zwei Minuten, wenn nicht sogar noch häufiger: „Sister, me not coming!“ – Was so viel heißt wie: „Ich kann das nicht.“ Und dabei geht es lediglich darum, ein Wort, das ich bereits vorgeschrieben habe, einfach nochmal zu schreiben. Was soll man da sagen? „Arbeitsverweigerung, 0 Punkte.“ würde hier niemand verstehen. Dann fehlt der einen ein Stift, die andere findet ihre Arbeitsblätter nicht mehr und vier Mädchen teilen sich ein Radiergummi was eine jeweilige Radiergummi-Wartezeit von 20 Sekunden zur Folge hat.

(Ihr kennt mich, ich komm zurecht!)

Samstag, 8. Oktober 2011

Die Effekte des Beinerasierens auf die weibliche Psyche


Damit ihr nicht denkt, ich drehe so langsam völlig ab: Natürlich kann ich nicht für alle weiblichen Wesen dieses Planeten sprechen, sondern vordergründlich, ja, vielleicht sogar ausschließlich von meiner eigenen Psyche, sofern ich diese mittlerweile durchschaut habe…
Doch da mich das Beinerasieren nun schon zweimal vor einem Stimmungstief bewahrt hat, fühle ich mich diesem Kult gegenüber verpflichtet, ihn gebührend zu würdigen:

Es ist einfach dieses tolle Gefühl der Sauberkeit, der Jugend (hört, hört, noch keine 20 und schon solche Töne!), frau ist wieder begehrenswert (über Sinn und Unsinn müssen wir an dieser Stelle nicht sprechen, das weiß ich selbst!), rein und einfach glatt. Und das alles gegen ein bisschen Rasiergel und etwas körperliche Betätigung (in der indischen „Dusche“ ggf. auch etwas mehr…).



LUXUS! Dann noch ne Spülung in die Haare klatschen, (nein ich meine natürlich „eine Walnuss große Menge sanft in die Haarspitzen einmassieren“), ein wenig Augenbrauen zupfen, Nägel lackieren und Schminke auflegen und schon entpuppt sich (bup, bup, bup) das genervte, gestresste und grundsätzlich unzufriedene Wrack als eine entspannte, mit sich und der Welt im Einklang befindende Frau.

„IN YOUR FACE!“ sage ich da nur zu Bibi Blocksberg, Harry Potter und Co!
Nagut, die Packung Kekse und die Flasche Cola haben letztlich auch zum Stimmungshoch geführt, sonst hätte ich im letzten Satz sicher auch noch Jesus nennen können.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Film ab!


Eine hellgrüne, saftige Bergwiese in Niederbayern? Ein wunderschöner Tempel mit Lichtern und Girlanden? Oder vielleicht doch lieber verträumte Winterlandschaft? Tja, wie ihr merkt, ist die Frage nach dem richtigen Schauplatz für einen indischen Film, oder ein indisches Musikvideo keine einfache. Doch das gewichtigste Auswahlkriterium ist folgendes: Es muss möglichst unrealistisch sein, möglichst weit entfernt von der Alltagsrealität der Menschen hier. Das kann dann darin enden, dass ein wunderschöner Inder, der folglich fast weiße Haut hat, auf einem schwarzen, anmutigen Wallach der Dame seines Herzens, die von der Liebe enttäuscht traurig im niegel nagel neuen Bus sitzt, der auf einer einwandfrei geteerten Straße fährt, indem nur sauber und ordentlich gekleidete Menschen sitzen (natürlich hat jeder einen Sitzplatz), hinterher reitet um ihr seine unendliche Liebe zu beweisen. Alternativ können aber auch zwei frisch Verliebte elegant durch die Alpen tanzen und die Frau rennt lachend mit nur einer Hotpants und einem kurzen, bauchfreien Top bekleidet durch den knietiefen Schnee und lässt sich den Wind durch die Haare wehen. Obwohl, wieso eigentlich alternativ? Das kann man doch super miteinander verbinden!

Weitere wichtige Elemente, neben dem richtigen Schauplatz und dem Tanzen sind auf jeden Fall pure Emotionen im Sinne von unerbittlichem Weinen und natürlich allem was dazu gehört (also vom minutenlangen Schluchzen bis hin zum Zusammenbruch oder gar einer Ohnmacht). So dürfen nie mehr als zwei Minuten verstreichen, ohne dass jemand (in 90% der Fälle sind es Frauen oder Kinder) herzzerreißend bitterlich geweint hat. Achja, selbstverständlich dürfen wir nicht die ständig vorhandene Schleichwerbung vergessen, wobei die Frage bleibt, inwiefern man von „Schleich“werbung sprechen kann, wenn die Protagonisten drei Minuten lang vor einem riesigen Coca-Cola-Banner auf und ab hüpfen…

Doch nicht nur die Emotionen, die Schauplätze und die Situationen sind äußerst realistisch dargestellt, sondern es fällt auch auf, dass in den indischen Filmen ein ganz bestimmtes Frauenbild und Männerbild verkörpert wird, mit dem ich auch hier ständig konfrontiert werde (Achtung: Ironie!):
Die Frau ist natürlich bildhübsch, hat große Rehaugen, langes, geschmeidiges Haar, dass sicher noch nie eine Laus gesehen hat, helle Haut und große Brüste. Abgesehen von ihrem ansprechenden Äußeren ist sie aber extrem naiv und sich folglich ihrer attraktiven Erscheinung keineswegs bewusst. So ist das aufreizende Wackeln ihres Gesäßes natürlich vollkommen unbeabsichtigt und dass ihre kurzen, engen Klamotten die Blicke der Männer auf sie ziehen, kommt ihr, wie sollte es anders sein, überhaupt nicht in den Sinn. Sie glaubt an die eine große, die wahrhaftige und aufrichtige Liebe (na klar, wer nicht??) und die widerfährt ihr auch innerhalb der ersten 45 Sekunden. Eine andere beliebte Version der Liebesgeschichte könnte so aussehen, dass das Traumpaar zunächst noch verfeindet ist, sich aber durch die Verkettung von enorm realistischen Zufällen ineinander verliebt.

Der Mann ist zu Beginn noch der coole Macho der aber schließlich seinen weichen Kern nach außen kehrt, als er die Frau seines Lebens trifft. So verändert sich seine Rolle in den Schoßhund, der seiner Angebeteten Blumen schenkt, sein Herz ausschüttet und unerbittlich um sie kämpft – schließlich müssen die nun noch einige Hindernisse (in der Regel kommt an dieser Stelle der strenge Vater der ach so unschuldigen Traumfrau ins Spiel) bewältigen.

Und wie in jedem erfolgreichen Film bedarf es einer ordentlichen Portion Drama. Das Paradebeispiel habe ich bereits selbst sehen dürfen: ER wird vom Vater seiner Geliebten dazu gezwungen, sich zwischen IHR und seiner größten Leidenschaft, der Musik, zu entscheiden. ER entscheidet sich zunächst für letzteres und muss SIE nun gegen seinen Willen abservieren. Also zerreißt er den voll süßen Brief auf dem in großen Buchstaben „I LOVE U“ steht vor ihren Augen, was natürlich beide total fertig macht. Da ruft SIE erst mal ihre Mutter an (wäre natürlich auch meine erste Wahl…), legt sich dann ins Bett und kuschelt mit ihrem Teddy. Doch natürlich bricht es auch ihm das Herz und so merkt ER schnell, dass er mit der Musik allein nicht glücklich wird. Naja, der Rest der Geschichte liegt ja auf der Hand. Obwohl es niemand für möglich gehalten hätte: SIE kriegen sich! Na dann können wir ja alle beruhigt schlafen.

Am Ende dieses Textes bin ich selbst überrascht, wie viel ich doch verstehe von Filmen, die in einer mir völlig fremden Sprache sind. Es kann nur am unbeschreiblichen Talent der Schauspieler liegen…!

Doch bei allem Spaß, den ich vor dem Fernseher empfinde, dürfen wir nicht vergessen: Die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht.