Dienstag, 4. Oktober 2011

Film ab!


Eine hellgrüne, saftige Bergwiese in Niederbayern? Ein wunderschöner Tempel mit Lichtern und Girlanden? Oder vielleicht doch lieber verträumte Winterlandschaft? Tja, wie ihr merkt, ist die Frage nach dem richtigen Schauplatz für einen indischen Film, oder ein indisches Musikvideo keine einfache. Doch das gewichtigste Auswahlkriterium ist folgendes: Es muss möglichst unrealistisch sein, möglichst weit entfernt von der Alltagsrealität der Menschen hier. Das kann dann darin enden, dass ein wunderschöner Inder, der folglich fast weiße Haut hat, auf einem schwarzen, anmutigen Wallach der Dame seines Herzens, die von der Liebe enttäuscht traurig im niegel nagel neuen Bus sitzt, der auf einer einwandfrei geteerten Straße fährt, indem nur sauber und ordentlich gekleidete Menschen sitzen (natürlich hat jeder einen Sitzplatz), hinterher reitet um ihr seine unendliche Liebe zu beweisen. Alternativ können aber auch zwei frisch Verliebte elegant durch die Alpen tanzen und die Frau rennt lachend mit nur einer Hotpants und einem kurzen, bauchfreien Top bekleidet durch den knietiefen Schnee und lässt sich den Wind durch die Haare wehen. Obwohl, wieso eigentlich alternativ? Das kann man doch super miteinander verbinden!

Weitere wichtige Elemente, neben dem richtigen Schauplatz und dem Tanzen sind auf jeden Fall pure Emotionen im Sinne von unerbittlichem Weinen und natürlich allem was dazu gehört (also vom minutenlangen Schluchzen bis hin zum Zusammenbruch oder gar einer Ohnmacht). So dürfen nie mehr als zwei Minuten verstreichen, ohne dass jemand (in 90% der Fälle sind es Frauen oder Kinder) herzzerreißend bitterlich geweint hat. Achja, selbstverständlich dürfen wir nicht die ständig vorhandene Schleichwerbung vergessen, wobei die Frage bleibt, inwiefern man von „Schleich“werbung sprechen kann, wenn die Protagonisten drei Minuten lang vor einem riesigen Coca-Cola-Banner auf und ab hüpfen…

Doch nicht nur die Emotionen, die Schauplätze und die Situationen sind äußerst realistisch dargestellt, sondern es fällt auch auf, dass in den indischen Filmen ein ganz bestimmtes Frauenbild und Männerbild verkörpert wird, mit dem ich auch hier ständig konfrontiert werde (Achtung: Ironie!):
Die Frau ist natürlich bildhübsch, hat große Rehaugen, langes, geschmeidiges Haar, dass sicher noch nie eine Laus gesehen hat, helle Haut und große Brüste. Abgesehen von ihrem ansprechenden Äußeren ist sie aber extrem naiv und sich folglich ihrer attraktiven Erscheinung keineswegs bewusst. So ist das aufreizende Wackeln ihres Gesäßes natürlich vollkommen unbeabsichtigt und dass ihre kurzen, engen Klamotten die Blicke der Männer auf sie ziehen, kommt ihr, wie sollte es anders sein, überhaupt nicht in den Sinn. Sie glaubt an die eine große, die wahrhaftige und aufrichtige Liebe (na klar, wer nicht??) und die widerfährt ihr auch innerhalb der ersten 45 Sekunden. Eine andere beliebte Version der Liebesgeschichte könnte so aussehen, dass das Traumpaar zunächst noch verfeindet ist, sich aber durch die Verkettung von enorm realistischen Zufällen ineinander verliebt.

Der Mann ist zu Beginn noch der coole Macho der aber schließlich seinen weichen Kern nach außen kehrt, als er die Frau seines Lebens trifft. So verändert sich seine Rolle in den Schoßhund, der seiner Angebeteten Blumen schenkt, sein Herz ausschüttet und unerbittlich um sie kämpft – schließlich müssen die nun noch einige Hindernisse (in der Regel kommt an dieser Stelle der strenge Vater der ach so unschuldigen Traumfrau ins Spiel) bewältigen.

Und wie in jedem erfolgreichen Film bedarf es einer ordentlichen Portion Drama. Das Paradebeispiel habe ich bereits selbst sehen dürfen: ER wird vom Vater seiner Geliebten dazu gezwungen, sich zwischen IHR und seiner größten Leidenschaft, der Musik, zu entscheiden. ER entscheidet sich zunächst für letzteres und muss SIE nun gegen seinen Willen abservieren. Also zerreißt er den voll süßen Brief auf dem in großen Buchstaben „I LOVE U“ steht vor ihren Augen, was natürlich beide total fertig macht. Da ruft SIE erst mal ihre Mutter an (wäre natürlich auch meine erste Wahl…), legt sich dann ins Bett und kuschelt mit ihrem Teddy. Doch natürlich bricht es auch ihm das Herz und so merkt ER schnell, dass er mit der Musik allein nicht glücklich wird. Naja, der Rest der Geschichte liegt ja auf der Hand. Obwohl es niemand für möglich gehalten hätte: SIE kriegen sich! Na dann können wir ja alle beruhigt schlafen.

Am Ende dieses Textes bin ich selbst überrascht, wie viel ich doch verstehe von Filmen, die in einer mir völlig fremden Sprache sind. Es kann nur am unbeschreiblichen Talent der Schauspieler liegen…!

Doch bei allem Spaß, den ich vor dem Fernseher empfinde, dürfen wir nicht vergessen: Die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht.

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