Montag, 17. Oktober 2011

Als Meister Propper das erste Mal alleine in den Kindergarten ging


„Ach komm, die Hose kannst du ruhig noch nen Tag anziehen!“, „Oh nein, ausgerechnet jetzt sehe ich da gaaanz hinten am Horizont eine kleine dunkle Wolke. Wäre ja blöd wenn du dir die Mühe umsonst machst.“, oder auch „So ein Pech, jetzt ist gerade leider kein Eimer für mich frei!“, sind nur drei der etlichen Ausreden, die ich bisher gefunden habe, um das Waschen meiner Klamotten noch ein wenig vor mir herzuschieben. Da die Inder in ihren ganz normalen Klamotten schlafen und hier sowieso jeder weite, dünne Hosen trägt, habe ich es mir sogar schon zur Gewohnheit gemacht, im Schlafanzug rumzulaufen (ihr glaubt ja gar nicht, wie viele Komplimente ich an dem Tag bekommen habe, als ich mich zum ersten Mal im Schlafanzug vor die Tür getraut habe!). 
Doch irgendwann muss man sich eben der Herausforderung stellen, zumal ich eigentlich sogar Spaß am Waschen habe, es fehlt mir nur lediglich manchmal der Antrieb. Heute war es dann jedenfalls endlich wieder so weit, schließlich hatte sich eine Menge in meinem Rucksack, der mir als Wäschebeutel dient, angestaut. Wahrscheinlich war es Übermotivation, die mich auch noch mein Bettlaken und die Decke in den Rucksack stopfen ließ, vielleicht hab ich aber auch einfach unterschätzt, wie schwer so eine Decke sein kann, wenn sie sich mit Wasser vollgesogen hat – kurzum: ich hatte einen blonden Moment.
Voller Elan, mit dem prall gefülltem Rucksack (und der ist ziemlich groß!) und der Kernseife in der Hand, stapfte ich die Treppe hinunter zur Universal-Waschstelle, wo Geschirr, Töpfe, Klamotten und Menschen gewaschen werden. Es gibt zwei Wasserhähne, Eimer und einige Steine, auf denen gewaschen wird. Als angehender Wasch-Profi hab ich natürlich erst einmal meine Wäsche sortiert. Jedoch nicht unbedingt nach Farben, sondern eher nach dem Grad der Verschmutzung und der Gefahr des Abfärbens, denn mittlerweile kenne ich meine Pappenheimer gut genug, um zu wissen, welche von ihnen überempfindlich auf die Behandlung mit der Kernseife reagieren (um das rauszufinden musste ich jedoch schon das ein oder andere Kleidungsstück opfern). Nachdem ich mir mühevoll einen Eimer ergattert hatte, begann die Zeremonie mit dem Einweichen. Dann suchte ich mir einen geeigneten Stein auf dem ich das nasse Kleidungsstück ausbreiten konnte. Eine Karaffe mit Wasser stellte ich neben mich. Ich packte meine Seife aus und fuhr gekonnt immer wieder über den Stoff, nahm hin und wieder die Karaffe, um die Wäsche zu befeuchten, da sonst kein ordentlicher Schaum zustande kommt. Und so rieb ich immer schön mit der Hand auf dem Stein herum. Quasi Rubbellos für Fortgeschrittene. Und als ich an die Rubbellose dachte, hatte ich plötzlich eine Idee. Denn schließlich rubbelt man in der Regel ja nicht mit den Fingern, sondern mit einer Münze. Und dann fiel es mir ein: Ich hatte ja noch diese kleine Handbürste in meinem Kulturbeutel! Ich flitzte hoch in mein Zimmer, schnappte mir die Bürste und probierte es aus. Es funktionierte einwandfrei! Endlich konnte ich die Seife gescheit verteilen, den Schmutz rausbürsten und das, ohne mir die Fingerkuppen halb abzuschleifen! Es war, als hätte ich das Rad neu erfunden!
An einem einzigen Tag entwickelte ich mich vom angehenden Wasch-Profi zu Meister Propper höchstpersönlich. Und dass Meister Propper so muskulös ist kommt nicht von ungefähr: Denn die Sauberkeit der Wäsche steigt proportional zur körperlichen Betätigung. Darüber hinaus zwingt mich die nicht sichergestellte Wasserversorgung zum sparsamen Umgang mit dem kostbaren Element (diese Sparsamkeit werde ich morgen Früh sicher in meinen Armen spüren). Mit offenem Mund beobachte ich regelmäßig die 8-jährigen Mädchen, die mit purer Gewalt die größten Bettlaken auf den Boden schlagen, um sie vom Wasser zu befreien. Natürlich schmunzeln sie über meine Art, zu waschen, geben mir regelmäßig Tipps, die ich zuerst nicht annehmen wollte, allerdings habe ich mittlerweile eingesehen, dass es doch einiges für sich hat, es genau so, und nicht anders zu machen. Und während ich klatschnass rubbel, reibe und schrubbe, hüpfen fünf kleine, nackte Mädchen quietschvergnügt neben mir auf und ab, während die älteren die Töpfe schrubben. Ich werde gefragt wie ich in Deutschland wasche (dass ich es auf eine andere Art als die indische mache, ließ sich nicht verstecken) und ich sage, dass wir eine Waschmaschine haben und dass meiner Mutter für mich wäscht. Sie fragen, ob meine Mama auch die Triple-X-Seife nimmt, dass sei nämlich die beste und ob wir lieber auf den großen Steinen, also im Stehen oder auf den kleinen, also in der Hocke waschen. Mein Versuch, die Funktionsweise einer Waschmaschine zu erklären scheiterte schon daran, dass sie nicht verstanden, wie die Klamotten nass werden können, ohne dass man mit dem Eimer Wasser draufgießt. Mit Weichspüler, Trockner oder Bügeleisen brauchte ich gar nicht erst anzufangen…

Trotz der Strapazen (oder vielleicht gerade deshalb?) macht das Waschen Spaß. Es macht glücklich, wenn man nach vollbrachter Arbeit, die verschrumpelten Hände sieht, sich von oben bis unten mit Schaum eingesaut hat, man weder Rücken, noch Arme beschwerdefrei bewegen kann und vor allem aber das Schmutzwasser, das wirklich richtig schmutzig ist, mit Schwung wegschüttet.
Vom Sortieren bis zum Aufhängen der Wäsche waren zweieinhalb Stunden vergangen. Ich war sehr zufrieden mit meinem Werk und merkte wieder mal, wie typisch deutsch ich doch bin, wenn mir Produktivität und Effizienz so viel Befriedigung verschaffen.

Um mich selbst zu belohnen, aber auch, um mein Käfer-Trauma zu überwinden, beschloss ich, nach Bogaram zu gehen, um mir (ihr werdet es kaum glauben…) Kekse zu beschaffen.
Alma hatte sich gerade hingelegt und da ich ungern wieder mit zwei der Mädchen Kekse kaufen wollte (ist nämlich ein blödes Gefühl, sich vor den neidischen Kinderaugen Süßigkeiten zu kaufen, die diese sich nicht leisten könnten…) beschloss ich mal zu versuchen, alleine (!!!) das Heim zu verlassen, um zum ca. einen Kilometer entfernten Kiosk zu gehen. Bislang wurde mir das nämlich noch nie erlaubt, was bedeutet, dass ich seit nun 36 Tagen nicht einen einzigen Schritt außerhalb des Heimes alleine gelaufen bin. Das hat zu großer Unzufriedenheit geführt, ich habe mich teilweise gefühlt wie ein Vogel im verrosteten Käfig (goldener Käfig wäre dann doch nicht wirklich angebracht).

Doch genauso wenig wie ein Indianer Schmerz kennt, lässt sich Meister Propper den Wind aus den Segeln nehmen. Also ging ich zur Heimleiterin und sagte ganz selbstverständlich, dass ich mal kurz nach Bogaram gehe. Und schwupps! Sie nickte nur und bevor sie es sich anders überlegen konnte, oder nach meiner Begleitung fragen konnte, machte ich mich aus dem Staub.

Mir war gar nicht klar, wie sehr ich es vermisst hatte, alleine durch die Gegend zu laufen! Gleichzeitig fühlte es sich auch ganz neu und aufregend an. Ich, Birte, war endlich alleine unterwegs. Es war das gleiche Gefühl wie damals, als ich zum ersten Mal selbstständig in den Kindergarten ging. Und genauso, wie ich mich damals beim Straßenüberqueren konzentrierte, dachte ich nun daran, die Kordeln meiner Hose zu verstecken (das wirkt wohl angeblich aufreizend) und blickte nach unten, sobald mir Männer entgegenkamen (allerdings hauptsächlich weil ich gar nicht wissen wollte, ob sie mich, oder viel mehr meine Haare, angafften). Ich genoss es durch und durch und bin richtig stolz auf mich! 

Die kleine Birte hat damals im Kindergarten all ihren Freunden berichtet, dass sie zum ersten Mal alleine in den Kindergarten gelaufen ist und die große  Birte lässt nun die ganze Welt wissen, dass sie heute zum ersten Mal alleine nach Bogaram gelaufen ist. Und damit sich der Kreis völlig schließt fehlt nur noch ein Satz: Meister Propper wäre stolz auf mich.

P.S.: An dieser Stelle gebührt meiner Oma Gisela ein großer Dank für die Unterhosen, die ich regelmäßig zu Ostern und zum Nikolaus bekommen habe und die sich nicht in erster Linie für ihr ansprechendes Äußeres, dafür aber für den sehr hohen Tragekomfort auszeichnen: Es sind die einzigen Kleidungsstücke, denen das Waschen auf dem Stein nichts auszumachen scheint (wer hätte gedacht, dass ich „Sippel&Benzin“ in diesem Leben nochmal was Positiven abgewinnen werde?)!

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