Freitag, 11. November 2011

Wie ich für einen Moment die Welt der „dirty“ Tempelritter aus ihren Ankern riss


Jippie! Endlich ein Ausflug! Endlich ein Grund, mal wieder Kajal aufzutragen und Schuhe anzuziehen!
Es ging zum nahegelegen Tempel in Keesara, weil heute irgendein religiöses Fest ist (ich hab bestimmt schon fünfmal nachgefragt, wie dieses Fest heißt, doch zu meiner Schande, kann ich mir den Namen einfach nicht merken…man wird halt auch nicht jünger!). Also wurde die etwa 50 Frau große Gruppe durch zwei geteilt, da wir nur ein Auto zur Verfügung hatten. 24 Personen, Kekse und Snacks für 50 Personen, ein 20 Liter Wasserkanister, etliche Schälchen und Becher und ich im ersten Auto. (Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur einer der etwa 1,3 Milliarden Inder Platzangst hat, denn mit einer solchen Krankheit wäre man hier quasi nicht überlebensfähig.) Wie gut, dass ich mich nach nun zwei Monaten recht gut an diese Art von Körperkontakt gewöhnt habe und dass die Strecke zum Tempel wirklich recht kurz war. 

Dort angekommen warteten wir zunächst einmal auf die zweite Gruppe, in der auch Alma war. Ich nun also als einzige Nicht-Inderin unter einem Haufen Einheimischer. Es war mir fast peinlich, wie sehr die Mädchen untereinander darum kämpften, meine Hand halten zu dürfen und dass nur, um auch einen Bruchteil der Aufmerksamkeit ergattern zu können, die mir zuteil wurde und die ich mittlerweile echt satt habe (wer hätte gedacht, dass ich jemals an diesen Punkt kommen würde?). Ich bemühte mich, eine positive Grundeinstellung zu bewahren und lächelte in der Gegend herum. Schließlich ist lächeln, neben singen und tanzen, das einzige, was jeder Mensch versteht. Hin und wieder spielte ich beim Gehen an meiner Kamera herum, was zwar total prollig ist, was aber in dem Moment der einzige allgemein akzeptierte Grund war, mir mal keine schwitzige Hand aufzuzwingen. Überall Blicke, Lächeln, Fotos und ständiges Kichern über eben diese Reaktion der Menschen seitens der Mädchen, die sich ja eigentlich schon längst an mich gewöhnt haben, die jedoch in der Öffentlichkeit einen viel anhänglicheren Umgang mit mir pflegen, ja manchmal sogar damit angeben, mich zu kennen. Wir gingen, nachdem etwa 20 Fotos von mir in sämtlichen Situationen geschossen wurden in einen Park, der zwar ziemlich künstlich wirkte, mich jedoch irgendwie trotzdem total faszinierte, weil er einigermaßen sauber war. Zunächst standen wir in einem Kreis. Ich war immer noch positiv gestimmt, es viel mir leicht zu lächeln und die immer gleichen Fragen nach meinem Namen und der Herkunft und der Absicht nach Indien zu kommen zu beantworten. Es geht meistens weniger darum, mich zu verstehen (denn das trifft in den seltensten Fällen zu), sondern darum, generelles Interesse an mir zu zeigen und mir gleichzeitig zu signalisieren, dass man diese drei englischen Sätze beherrscht.

Je mehr ich lächelte, je mehr Fragen ich beantwortete, je mehr Kinderhände ich berührte, desto größer wurde das Interesse an mir. Schließlich meinten meine Begleiterinnen, ich solle mich lieber hinsetzen, was ich auch tat. Doch da ich nun in meiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war, wurde ich als Fotoobjekt nur noch attraktiver. Also stellten sich etwa 6 Mädchen um mich herum, was quasi als Schutzwall dienen sollte. Besonders eine Gruppe junger Männer ließ sich von diesen für mich immensen Maßnahmen nicht wirklich beeindrucken, also drehte ich mich schließlich mit dem Gesicht zu einem alten, vollgemüllten Busch. Super, von wegen schöner Park! Es tummelten sich mittlerweile rund 30 Menschen um mich herum, die meisten waren Jugendliche oder junge Männer, die Familien schickten ihre kleinen Kinder zu mir, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah, denen ich aber immer ein Lächeln schenkte. Zum ersten Mal hatte ich Mitleid mit Knut. Als Eisbär im warmen Berliner Zoo muss es wohl noch schlimmer sein, als als blonde Frau im überfüllten indischen Park. Ständig riefen die Männer irgendetwas, manchmal kicherten die Mädchen verlegen und ich wusste nicht, ob ich froh sein sollte, sie nicht verstehen zu können oder nicht. Jedenfalls störte es mich sehr, nicht reagieren zu können, sondern stattdessen auf die Schlagfertigkeit kleiner Mädchen angewiesen zu sein.

Ich weiß nicht, wie er es schaffte, den Schutzwall zu durchbrechen, (ich konnte ja außer dem bescheuerten Busch auch nichts sehen!), doch plötzlich stand ein Mann vor mir, reichte mir die Hand und sagte: „Hello Madame, how are you?“
Ich weiß nicht, ob ich es aus Höflichkeit tat, oder weil der junge Mann sehr freundlich wirkte, aber wahrscheinlich passierte es einfach aus Gewohnheit. Ich reichte ihm auch meine Hand und sagte: „Oh, I’m fine, thank you.“ Stille. Entsetzen. Alle Augen, wirklich ALLE in meinem näheren Umfeld starrten mich nun an. Na klasse Birte, das hast du wieder toll gemacht, dachte ich mir, und noch bevor ich mir ausführlich zu der Situation gratulieren konnte, in die ich mich gebracht hatte, sagte Saramma, eines der Mädchen aus dem Heim aufgeregt: „Oh sister, don’t do that!!! Indian boys are all dirty!!!“ Ok. Meinetwegen. Hinnehmen. Statt zu besänftigen, hatte ich die Männermasse um mich herum nur noch mehr angestachelt und ihnen neuen Zündstoff gegeben. Ich hörte, wie sie etliche Male den kurzen Dialog mit mir durchgingen. Dies war mal wieder Grund genug für mich, ein Selbstgespräch auf Deutsch zu führen, was ich natürlich laut tat, da mich niemand versteht (hoffentlich hab ich mir das wieder abgewöhnt, wenn ich in Deutschland bin!). Die letzten Hemmschwellen waren nun gebrochen, die Männer hüpften mit ihren Handykameras vor mich und meinen treuen Freund, den Busch, und schossen ein Foto nach dem anderen. Das war genug. Zwei Mädchen eilten zu Nagomanie, unserer Torwächterin, die die erste Gruppe begleitet hatte und während des Spektakels abseits stand. Diese kam in großen Schritten auf die Männer zu und brüllte wie eine Löwin, die ihre Jungen beschützt (in dieser Situation hätte ich nur zu gerne Telugu verstanden!). Nachdem der Mann, der mir die Hand gereicht hatte, unschuldig mit den Schultern zuckte, holte sie kurz entschlossen aus und knallte dem Typen eine. Aber so richtig. Volle Kanone. Mitten ins Gesicht. Es hat geklatscht wie bei Bud Spencer!
Die Mädchen forderten nun auch mich auf, einen, wie sie sagten, „Karate-Trick“ anzuwenden und den Typen somit nochmal selbst zu vermöbeln. Ich musste wirklich lachen bei der Vorstellung, demselben Kerl, dem ich vor wenigen Sekunden noch die Hand gegeben habe, eine zu scheuern. Ich führte also ein weiteres Selbstgespräch (ich glaub die Mädchen merken gar nicht, dass es Deutsch und kein Englisch ist, was ich dann vor mich hin blubbe). Ach nein, Karate kann ich ja außerdem gar nicht, ich könnte den „Feind“ höchstens mit meiner berüchtigten Brennnessel in die Flucht jagen… Noch ehe mein offenkundig nicht sehr tiefgründiges und gehaltvolles Selbstgespräch beendet war, hatte Nagomanie einen solchen Eindruck hinterlassen, dass wir von nun an von lästigen Zuschauern befreit waren. Ob mir das mit meiner Brennnessel wohl auch gelungen wäre? Die Frage wird wohl für immer offen bleiben, von daher gebe ich mir die Antwort, die gerne hören will…
Endlich kam die zweite Gruppe! Endlich nur noch die halbe Aufmerksamkeit! Endlich ging es los zum Tempel. Nachdem wir durch kleine Gittergänge gelaufen waren, die den Warteschlangen vor Achterbahnen ähneln, ging es ab ins Gebäude. Zunächst mussten wir eine Glocke läuten, zweimal, mit der rechten Hand – und zwar jeder! Also ständiges Geläute. Ich fragte mich, wie es die (im Übrigen halb nackten!) Männer im Tempel aushielten, den ganzen Tag dieses Gebimmel zu ertragen… Ich verstand überhaupt nichts von dem Kult, der sich vor meinen Augen abspielte. Mal setzte man mir eine eiserne Glosche auf den Kopf, dann bekam ich einen roten Punkt auf die Stirn gemalt. Ich befolgte einfach stupide was mir gesagt wurde, beziehungsweise, da in der Regel niemand was sagte, imitierte ich einfach das Verhalten der anderen. Es ging in einen Raum mit vielen kleinen Statuen von Affen und Elefanten (Ich: „Und dieser Elefant da ist also euer Gott?“; Mädchen (ganz entsetzt): Nein, das ist kein Elefant, das ist Gott!!“).

Die Mädchen und die Heimleiterin, die unmittelbar vor mir gingen griffen ständig mit einer Hand an diese Figuren und küssten jene dann um danach mit den Fingern ein Kreuz (oder so was in der Art) auf ihre Brust zu malen. Die ersten drei Statuen tat ich einfach nichts außer zusehen und ernst bleiben. Dann wurde ich aufgefordert, mitzumachen. Ok, dachte ich mir, nach den ganzen Flöhen und Läusen werden dich die paar Bakterien auch nicht mehr umbringen, und griff nach der Figur.
Die Inder, so habe ich festgestellt, haben in der Regel ohnehin recht große Augen. Doch diese vergrößerten sich in dem beschriebenen Moment nochmal locker um das doppelte. Ich Tölpel! Das hätte ich nun wirklich wissen müssen! War das etwa schon wieder ein blonder Moment, die Strafe für den kurzen Körperkontakt mit dem „dirty“ Inder oder lag es an der Überlegung mit den Bakterien? Keine Ahnung, was mich da geritten hat, aber ich habe DEN Fehler schlechthin gemacht: Ich nahm nicht die rechte, sondern die linke, unreine Hand. Schande über mein Haupt! Und alle haben es mal wieder gesehen, weil alle gespannt darauf warteten, wie sich die dumme Deutsche verhält. Wahrscheinlich haben sie gehofft, dass ich mich blamiere und da hab ich ihnen eben den Gefallen getan. Auch der Tempel-Mann an der nächsten Station, der eine weitere Glosche für den Kopf bereithielt blickte mich entsetzt an und weigerte sich für einen kurzen Moment, mir die goldene Schüssel auf den Kopf zu setzen. Nach einem kurzen Kommentar seitens der Heimleiterin hat er es dann aber doch gemacht (ich war froh, KEIN Telugu zu verstehen, das wäre bestimmt peinlich für mich gewesen…). Meine Augen sahen schon den Ausgang in unmittelbarer Nähe, als ich an den Händen gepackt wurde und in einen kleinen, sehr dunklen Raum gezogen wurde. Hier standen nun vier Männer, die wirklich quasi nichts anhatten, vor einigen pechschwarzen, menschengroßen Figuren mit riiieeeesigen weißen Augen, und bunten Kleidern, die total unheimlich waren! Einer der Männer fragte etwas und die Mädchen um mich herum antworteten mit ihrem Namen. Ich war schon stolz, weil ich das Gefühl hatte, alles verstanden und die Lage im Griff zu haben. Die Männer sprachen eine Art Gebet, nachdem sie den Namen der Person erfahren hatten und banden diesen darin ein. So. Nun war ich an der Reihe. Laut und klar sagte ich „BIRTE“. Natürlich verstand er diesen Namen nicht. Nachdem ich ihn zweimal wiederholt hatte und die übrigen, streng gläubigen Hindus im Raum langsam die Geduld verloren antwortete eines der Mädchen für mich und sagte, dass ich „PRIYA“ heiße (das bedeutet übrigens „darling“!). Also gut, dann wurde eben nicht Birte, sondern Priya heilig gesprochen, was solls, bei meinem Geschick den Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen hab ich diesen Sonderbonus ja auch gar nicht nötig. Zum Abschluss sollten wir nun noch eine Blume vom Tablett nehmen, auf dem auch Kerzen standen. Ich griff also ohne langes Zögern zu, war froh, dass ich nichts mehr sagen musste und dass ich wie selbstverständlich die rechte Hand nahm. Plötzlich schnappte das Mädchen rechts von mir laut nach Atem und rief „Sister!!“. Ich bemerkte, wie mein Oberteil am Arm leicht anfing zu dampfen. Offensichtlich war ich zu nah ans Feuer gekommen. Ich zog den Arm weg und wie das für mich typisch ist, gelang mir das nicht, ohne ein entsprechendes Geräusch des Entsetzens auszustoßen. Da war es vorbei mit der spirituellen Ruhe. Nein, nein, es ist nichts passiert, aber ich war ja so froh aus diesem Tempel draußen zu sein!

Und die Moral von der Geschicht‘:  Inder sind alle „dirty“, ich wünschte, ich hätte nicht zwei linke, sondern zwei rechte Hände und „Mit Feuer spielt man nicht“!

Achja: Und ich werde ernsthaft darüber nachdenken, Karate zu lernen

2 Kommentare:

  1. die indischen autos müssen enorm geräumig sein!

    vergiss karate und brennnessel. kniepen, das ist deine spezialität. au, es schmerzt mich schon, wenn ich nur daran denke wie du früher aus spaß an der freude die haut meines oberarms genüsslich zusammendrücktest, du deubes düsst! :D das haste jetzt davon, dass du anfängst zu brennen :P

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  2. Nich nachdenken- machen :D

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