Mittwoch, 16. November 2011

Papaya oder Pinguin?


Nachdem ich nun über zwei Monate in Indien lebe (ich hab lange überlegt, ob dieses Wort an der Stelle passt und die Antwort war nein, doch ich mir fiel auch nichts Treffenderes ein…), möchte ich einen kurzen Vergleich  zwischen Deutschland und Indien anstellen, indem ich auch auf meine persönliche Entwicklung eingehen werde (na wenn das kein 15-Punkte Übersichtssatz ist!).


Ziemlich am Anfang meines Auslands-Jahres fragte mich ein Mädchen, wie warm es gerade in Deutschland sei und ich antwortete, dass es dort im Vergleich zu Indien, sehr, sehr kalt sei (man munkelt, es sei sogar bereits (Zitat: ) „arschkalt“). Die logische Frage, die sich meiner Äußerung anschloss war die, ob es denn dann in Deutschland Pinguine gäbe, was ich lediglich mit einem Lachen beantworten konnte (vor allem unter dem Aspekt des Klimawandels). So erklärt sich schon mal die Überschrift, denn dass die Papayas für Indien stehen (ich setze mich jeden Morgen bei schöner Musik und Sonnenschein aufs Dach und esse eine melonengroße, kernlose, extrem leckere Papaya), lässt sich auch ohne große Erklärung herleiten (die ich ja somit dennoch gegeben habe).


Was ich gelernt habe (spätestens jetzt wäre dieser Text keine 15 Punkte mehr wert, weil ich in Stichpunkten fortfahren werde):


  • Ø  Waschen mit Kernseife auf einem Stein bei minimalem Wasserverbrauch (zumindest theoretisch)
  • Ø  Leben aus  einem Koffer
  • Ø  Haarewaschen im Eimer
  • Ø  Entlausen
  • Ø  Spontanes Redenhalten, Singen und Tanzen im nüchternen Zustand, bei Tageslicht und unter großer Beobachtung
  • Ø  Ein paar Worte Telugu
  • Ø  Als Blondine wird man ständig abgezockt
  • Ø  „scharf“ ist relativ
  • Ø  Kokosnüsse zu öffnen
  • Ø  Eine stark (und das ist mit deutschen Verhältnissen einfach nicht vergleichbar!) befahrene Straße ohne bleibende Schäden zu überqueren
  • Ø  Rupees in Euro umzurechnen (nach über 2 Monaten fiel uns nämlich ein ähm…kleiner Rechenfehler auf, der sich allerdings zu unseren Gunsten auswirkt)
  • Ø  Wenn ein Inder mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet, bedeutet das meistens, dass er die Frage nicht verstanden hat
  • Ø  „Englische“ Gottesdienste sind trotzdem auf Telugu (abgesehen von der Bekanntgabe einer „marriage“, sprich:  In über einer Stunde des offiziell englischen Gottesdienstes kamen etwa drei englische Worte vor)
  • Ø  Von den indischen Fahrzeugen würde nur ein winziger, quasi nicht erwähnenswerter Bruchteil den deutschen TÜV bestehen
  • Ø  Wer hupt hat Recht
  • Ø  Sämtliche Klatschspiele (dank Laxmi!)
  • Ø  Beim der Yogaübung „Hund“ die Hacken vollständig auf den Boden zu bekommen
  • Ø  Mit der Hand zu essen (habe meiner Technik schon fast perfektioniert!)
  • Ø  Leben mit und von Krabbeltieren aller Art
  • Ø  Ein Affe im Zoo hat kein schönes Leben
  • Ø  Die Jungfrau Maria hat möglicherweise einen indischen Sari getragen
  • Ø  Je heller die Haut, desto schöner und angesehener ist der Mensch
  • Ø  Kranke Straßenhund-Welpen werden schon mal ermordet, indem man sie einfach gegen einen Stein schlägt
  • Ø  Ich habe einen Schweinemagen
  • Ø  Glück kann man sich erarbeiten
  • Ø  Selbst mit 20 kann man noch unreine Haut haben
  • Ø  Es ist gut, wenn man immer Traubenzucker dabei hat
  • Ø  Wenn ein indisches Mädchen zum ersten Mal ihre Tage hat, gibt’s ein riesen Familienfest mit ganz viel leckerem Essen
  • Ø  Es gibt fast nichts, was man nicht selbst machen kann
  • Ø  Weichspüler, Stoßdämpfer, Stühle, Schuhe, und Besteck sind überbewertet
  • Ø  Ich werde nie wieder ohne Zip-Bags, Desinfektionsspray und Panzerband verreisen
  • Ø  Die Welt ist ziemlich groß
  • Ø  Ein Leben ohne Männer ist manchmal komplizierter als mit
  • Ø  Ich habe für die nächsten 20 Jahre die Nase voll vom Dorfleben
  • Ø  Der Mensch ist ein absolutes Gewohnheitstier
  • Ø  Und natürlich: „Indian boys are ALL dirty!“



Was ich mir vorgenommen habe:

  • Ø  Ich werde ein Buch schreiben, bzw. habe schon damit begonnen (ich erwähne das nicht, weil es gut wird, sondern damit ich mehr unter Druck stehe, um es auch wirklich eines Tages fertig zu schreiben)
  • Ø  Ich möchte die nächsten Jahre an Weihnachten zu Hause sein
  • Ø  Ich werde nur etwas studieren, was mir wirklich Spaß bereitet
  • Ø  „Die Drei ??? und die Schattenmänner“ einmal bei Nacht komplett durchzuhören ohne vor Angst fast zu sterben
  • Ø  Ich will in meiner späteren Wohnung immer einen vollen Obstkorb haben
  • Ø  Ich werde vor meiner Rückreise meinen ganzen Koffer mit indischem Essen vollstopfen
  • Ø  Ich werde mir nun jedes Mal, wenn ich in Ghatkesar bin einen Fruit-Mix für 10 Rupees (ca 18 Cent) gönnen!
  • Ø  Ich werde diese Liste nun beenden, weil sie sonst nie endet (ich hab mir schon ne extra Liste angelegt mit dem Titel „Dinge, die ich in meinem Leben unbedingt noch tun muss“, die bereits 89 Punkte hat…) 



Woran ich weiterhin arbeiten werde:

  • ·         An meiner Ordnung
  • ·         An meiner Geduld
  • ·         An meinem Ekelempfinden
  • ·         An meiner Spinnen-Angst
  • ·         An meinen Gefühlsausbrüchen
  • ·         An meiner starken Unlust, Entscheidungen zu treffen
  • ·         An meiner nachtragenden Art
  • ·         An meiner Toleranz
  • ·         An meiner Zerstreutheit (ok, ich gebe es hiermit zu: manchmal(!) ist es mehr als eine 3…)
  • ·         An meiner generellen Belastbarkeit
  • ·         An meiner Impulsivität
  • ·         An meiner Rückenmuskulatur (sonst bringt mich die „Matratze“ noch um!)
  • ·         An meiner Freshness und Lässigkeit
  • ·         Und daran, irgendwann mal zum Punkt zu kommen – Punkt.



Oh Mann, ich könnte an diesen Listen wirklich endlos weiterschreiben, schließlich waren das die Dinge, die mir innerhalb einer halben Stunde eingefallen sind…
Angesichts der vielen Dinge, die ich hier gelernt habe und die mir in Deutschland wohl nicht widerfahren wären, tut Indien mir wirklich gut. Ich habe mich mittlerweile wirklich gut eingelebt und mich mit allem irgendwie arrangiert. Doch es gibt viele Dinge, an die ich mich zwar gewöhnt habe, die ich jedoch nie wirklich schätzen werde. So macht es mir nichts oder kaum etwas aus, wenn ich Haare und Insekten in meinem Essen finde, wenn in der Küche Ratten sind, wenn mir nachts die Ameisen übers Gesicht krabbeln, wenn mein ganzer Kopf voller Läuse ist, wenn das Bad nie wirklich sauber wird, wenn man vor jedem Klospülen erst 10 Liter Wasser in den Behälter füllen muss, wenn ich nicht ausschlafen kann, weil mein Rücken so wehtut, wenn im Bad circa 20 Spinnen leben, wenn man sich nach dem „Duschen“ sofort wieder dreckig fühlt. Damit komme ich klar, auch weiterhin. Doch ich werde den Wunsch nach einer richtigen Dusche, in der das Wasser und somit auch der Dreck von oben nach unter runterläuft ohne das ganze Bad zu überfluten genauso wenig loslassen können, wie den Traum vom krabbeltierfreien Schlaf. Ich denke, diese Erfahrungen tun mir gut, ich werde davon langfristig profitieren und sie sind es letztlich auch, die mich hierher kommen lassen haben (zumindest auch).


Es gibt unendlich viel, was ich an den Pinguinen schätze und vieles davon ist mir auch erst in den letzten beiden Monaten klargeworden. Doch im Moment ist hier Papayasaison, was mir die Entscheidung zwischen Pinguin und Papaya dann doch erleichtert ;)

6 Kommentare:

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  2. Wenn du wieder nach Hause kommst werden wir dir eine ganze Woche lang die Dusche reservieren - versprochen!!!!!

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  3. Joachim sagt: Ich handel schon immer nach der alten "McGyver"-Devise.....nie ohne Panzerband und Kabel aus dem Haus gehen....:-)
    und tatsächlich hat er damit schon eine unserer Urlaubsfahrten gerettet. Nachdem wir Rast gemacht hatten und wir etwas aus dem Kofferraum holen mussten, ging dieser plötzlich überhaupt nicht mehr zu!!!! Aber Joachim in alter McGyver-Manier hat das Ding tatsächlich mít Kabelbinder repariert!
    Bis bald Birte
    Viele Grüße auch von Lena und Emma

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  4. Wow, das ist ja mal eine Liste;-).
    Da hast du aber einiges zu tun wenn du wieder in "good old Germany" bist.
    Genieß die Sonne in India, hier ist es nämlich sch..... kalt und ...lass es dir weiterhin gut gehen.
    Lieben Gruß Susi

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  5. mal ganz ehrlich... der schweinemagen... das ist doch nix neues :P

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  6. pssssst! aber jetzt weiß ich, dass sich das nicht nur auf den alkohol bezieht ;)

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