Nachdem ich
mich nun schon wieder ne Weile nicht in meinem Blog betätigt habe, obwohl ich
mir das fest vorgenommen hatte (an dieser Stelle ein kleiner Zwischenkommentar
der Autorin: "Scheiße, vergeht die Zeit gerade schnell!!!“), hier ein Nachtrag
aller wichtigen und, wie ihr es von mir gewohnt seid, besonders der unwichtigen
Ereignisse.
Die Monster
aus meinem Englischunterricht
In der
letzten Zeit haben sich meine Aufgaben hier im Heim geändert, was teilweise
auch durch die momentanen Ferien bedingt ist. So gebe ich jetzt zum Beispiel einer
Gruppe von vier bis acht Mädchen zweimal täglich für eineinhalb Stunden
Englischunterricht, der besonders darauf ausgelegt ist, den Mädchen freies
Sprechen und solides Verstehen der Fremdsprache zu vermitteln. Es ist oft
anstrengend, da das Lernniveau sehr unterschiedlich ist, die Konzentration
schnell nachlässt und ich vor der Herausforderung stehe, einen Spagat zwischen „Ich-bin-die-große-Schwester-und-Spielgefährtin-und-Kummerkasten“
und „Ich-bin-die-Lehrerin-die-zwar-lockeren-und-interessanten-Unterricht-hält-aber-dennoch-was-vermitteln-will“
zu machen.
Ziel des
ganzen Projektes ist es, die Mädchen fit fürs College zu machen, wo
ausschließlich Englisch gesprochen wird – diese Aufgabe befindet sich für mich auf
demselben Niveau wie: Überzeuge Opa Hans davon, Vegetarier zu werden.
(An dieser
Stelle kommt ein symbolischer Absatz.)
Letzte Woche
habe ich mit meiner Klasse das Vorstellen geübt. Sie sollten aufstehen und sich
selbst nach verschiedenen Kriterien, die sich zunächst nur auf Äußerlichkeiten
beschränkten, vor der Gruppe beschreiben.
An diesem
Tag sollte ich vor eine zusätzliche Herausforderung gestellt werden, nämlich
der, nicht zu lachen. Hier die besten Sätze (nur zur Sicherheit: ich
unterrichte ausschließlich Menschen!):
„Ich habe
ein fettes, quadratisches Gesicht.“
„Meine Nase
sieht aus wie eine große Gurke und meine Ohren haben die Form von Mangos.“
„Ich bin
sehr klein und habe winzige Arme.“
„Ich habe
verlauste Haare.“
„Ich habe
Pickel im Gesicht, aber ich bin wunderschön.“
„Ich habe
zwei Arme, zwei Augen, zwei Ohren und zwei Beine mit vielen dunklen Haaren.“
Die Ratte
Liveschaltung.
Es ist Mittwoch, der 9.Mai und ich skype mit Rahel, als ich plötzlich höre, wie
ein großes Tier an der Seite meiner angelehnten Badezimmertür hochklettert. Zu
diesem Zeitpunkt hoffe ich noch, dass es sich lediglich um eine große Echse
handelt. Wieder auf das Gespräch mit meiner Liebsten konzentriert, verfluche
ich die Fähigkeit des peripheren Sehens, als plötzlich ein
riiiiiiieeeeeeeesiger, langer, dünner, krummer Rattenschwanz an meiner Tür
runterhängt. Abrupt muss ich die Konversation beenden. Meine Blase drückt ohne
Ende, doch in kann unter keinen Umständen ins Bad, nur über meine Leiche!!!
(An dieser
geht ein herzlicher Dank an meine Mutter, die mir ihre Angst vor Nagern
offensichtlich vererbt hat.)
Ich bin mal
zur Abwechslung ganz Mädchen und vergieße ein paar Verzweiflungstränchen
während mein gesamten Körper von Ekel-Gänsehaut überzogen ist. Ich rufe Hannes
an und teile ihm mit, dass ich auf dem Dach schlafen werde.
Antwort: „Da sind
doch bestimmt auch Ratten.“
Klasse.
Irgendwann
befreit sich mein Hirn aus dem Standby-Modus (ok, es benötigte ein wenig
Zuspruch) und beschließt, die Mädchen um Hilfe zu bitten. Es ist bereits nach
22 Uhr.
Schließlich
finde ich zwei angstfreie Helferinnen, die todesmutig in mein Zimmer gehen. Ich
stehe zu diesem Zeitpunkt schluchzend im Büro, wo ich mich aus lauter Angst vor
einer mir entgegen rennenden Ratte eingeschlossen habe.
Irgendwann
klopft es am Fenster, ich zucke zusammen. „Sister, finished!“, ruft Durga,
die Rattenfängerin. Erleichtert öffne ich die Tür und erblicke das Mädchen, wie
es meinen Duscheimer in den Händen hält – mit der schwimmenden Ratte drin! Ich
schreie was das Zeug hält und verbarrikadiere mich wieder im Büro; bis das
Viech endlich draußen freigelassen wird (ich hätte in diesem Falle die
Todesstrafe bevorzugt!). Nach einigen ausführlichen Verbeugungen vor meinen
Lebensretterinnen und der Verteilung meines vollen Respekts nehme ich meinen
leeren Duscheimer wieder mit ins Zimmer, ziehe von außen schnell die Badtür zu
und verriegel sie. Nein, ich werde dieses Bad nie wieder angstfrei betreten
können!
In der Nacht
träume ich von Rattenschwänzen, die durch mein Gesicht fahren, von Rattenzähnen
die an meinen Füßen nagen und von davon, wie dieses widerlichen Drecksviecher die
Weltherrschaft an sich reißen. Ich wache kurzzeitig auf und habe apokalyptische
Vorstellungen wie die, dass die Ratte in meinem Bad ihre Jungen zur Welt
gebracht hat und die morgen früh auf mich warten, um sich zu rächen. Dann frage
ich mich, ob die Ratte vielleicht Krankheiten hat und ob ich vielleicht morgen
beim Berühren des Wasserhahns die Pest bekommen könnte.
Dann ist es
soweit, es ist Morgen. Ich kann nicht ins Bad, ich kann es einfach nicht. Zwei
Stunden liege ich mit drückender Blase im Bett und versuche mich zu überwinden:
es hilft nichts.
Wieder rufe
ich Hannes an.
„Du kannst
nicht die nächsten drei Monate nicht mehr ins Bad gehen!“
„Ja, ich
weiß.“
„Dann öffne
jetzt die Tür und schau rein.“
„Ich kann
nicht!“
Dieser
Dialog findet etwa 5 fünf Minuten lang in ständiger Wiederholung statt. Ich
beschließe mich, die Tür aufzuschließen, doch öffnen kann ich sie nicht.
Also stelle
ich mich auf das gegenüberstehende Bett und versuche, meinen Latschen gegen die
Tür zu werfen. Wie meine Statistik bei den Bundesjugendspielen schon vermuten
lässt, treffe ich natürlich daneben.
„Dann flitz
schnell zur Tür und tritt dagegen und dann springst du schnell wieder aufs
Bett.“, lautet Hannes Rat.
Gemacht,
getan. Leider hab ich so fest getreten, dass die Tür bis zum Anschlag aufgeht
und dann gleich wieder zufällt. In dem Zeitpunkt als man hätte reinschauen
können war ich mit dem Sprint zurück aufs Bett beschäftigt. Mist.
Naja, was
soll ich sagen, nach etwa 20 Minuten Argumentation auf höchstem Niveau bin ich
todesmutig ins Bad gegangen. Und das tue ich jetzt wieder regelmäßig, weil mir
einfach nichts anderes übrig bleibt. Jedoch klopfe ich jedes Mal erst
vorsichtig gegen die Tür und lausche dann, ob sich irgendetwas bewegt, bevor
ich dann wirklich reingehe. Achja und am nächsten Tag habe ich mit einer ganzen
Rolle Panzerband und etwa 60 Reißzwecken mein Badefenster verbarrikadiert (rein
optisch könnte man meinen, es herrsche Krieg!). Und um auch die letzten Zweifel
wegen Krankheiten zu beseitigen, habe ich alles geputzt und desinfiziert.
Um mein Trauma
zu bekämpfen ging ich schließlich zu den Mädchen und berichtete nochmal allen
von der Ratte.
Einziger Kommentar: „They only come, when the
room is ugly.“
Na danke,
jetzt musste ich auch noch den Rest des Zimmer putzen, man weiß ja nie…
Die Striche
werden dünner
In meinem
Zimmer hängt nach wie vor ein Countdown, wo ich jeden Abend einen Tag
durchstreiche. Und jeden Abend stelle ich erschrocken fest, dass schon wieder
ein Tag vergangen ist. Es gibt vieles worauf ich mich in Deutschland freue,
aber ich habe auch wirklich Angst vor meiner Rückkehr, von Deutschland und
davor, dass ich nicht mehr nach Deutschland passe.
Ich bin jetzt
in diesem Moment voll und ganz in Indien angekommen, ich fühle mich jetzt
indisch und (so absurd dieser Ausdruck angesichts der wenigen Privatsphäre und
meiner gesamten Lebenssituation erscheinen mag) ich fühle mich frei.
Ich möchte
mein Leben hier nicht zurücklassen, weil ich das Gefühl habe, dass es hier noch
so viel für mich zu tun, zu entdecken und zu lernen gibt. Das gegenteilige
Gefühl hatte ich damals, als ich Deutschland verlassen habe. Es gab dort nichts
mehr für mich zu tun, zumindest nichts, was mich gereizt hat.
Deutschland
zu verlassen war machbar, weil ich wusste, dass es nur ein Abschied auf Zeit
ist. Indien zu verlassen, bedeutet ein Abschied für immer. Selbst wenn ich in
den nächsten fünf Jahren nochmal herkommen sollte , hier wird alles anders
sein. Ich werde nie wieder an diesen Punkt in meinem Leben zurückkommen und
obwohl ich weiß, dass es gut ist, weiterzuziehen, dass oft wechselnde
Lebensverhältnisse auf mich einen starken Reiz ausüben und ich Angst vor
Stagnation habe, sehe ich momentan fast nur die schlechten Seiten, sehe nur, was
ich weggeben muss, nicht aber, was ich dafür bekomme.
Ich hätte
nicht gedacht, dass ich an diesen Punkt kommen werden, niemals.
Es ist nur
eine Phase, da bin ich mir sicher, und ich weiß, dass sie zu dem ganzen Projekt
„Auslandsjahr“ dazugehört.
Während ich
am Anfang und direkt nach Sri Lanka dicke fette Striche auf meinem Countdown
gemacht habe, werden sie jetzt jeden Tag vorsichtiger und dünner. Und ich
glaube nicht, dass sich das in den letzten drei Monaten ändern wird…